Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
Vom Netzwerk:
gesagt.«
    »Sie wissen nicht, was Sie tun. Sie haben nicht an den Eid gedacht, den Sie vor Gott dem Manne ablegten, der Ihr Gatte ist. Meine Pflicht ist es, Ihnen die Heiligkeit eines solchen Versprechens klarzumachen.«
    »Und wenn ich alles einsähe und mich doch weigerte?«
    »Dann wird Gott – «
    »Was für ein Gott? Mein Mann hat einen Gott, den ich nicht anbeten will. Es muß viele solche geben.«
    »Kind! Sagen Sie so etwas nicht! Ach, Sie meinen es gar nicht so. Ich verstehe Sie ja, ich habe selbst solche Augenblicke gehabt.« Seine Gedanken gingen in sein Vaterland Frankreich zurück, und ein sehnsüchtiges, wehmütiges Antlitz trat zwischen ihn und die Frau, die vor ihm stand.
    »Hat Gott mich denn verlassen, Vater? Ich bin nicht schlechter als andere Frauen. Mir ist es elend bei ihm ergangen. Warum soll es noch schlimmer werden? Warum darf ich nicht nach dem Glück greifen? Ich kann, ich will nicht zu ihm zurückkehren!«
    »Wollen Sie lieber Gott verlassen? Kehren Sie zurück. Werfen Sie Ihre Bürde auf ihn, und die Finsternis wird sich lichten. Ach, mein Kind – «
    »Nein, es hat keinen Zweck; ich muß liegen, wie ich mich gebettet habe. Ich gehe meinen Weg weiter. Und wenn Gott mich straft, so muß ich es eben tragen. Das verstehen Sie nicht. Sie sind kein Weib.«
    »Meine Mutter war ein Weib.«
    »Aber – «
    »Und Christus wurde von einem Weibe geboren.«
    Sie antwortete nicht. Eine Stille trat ein. Wharton zerrte ungeduldig an seinem Schnurrbart und warf einen Blick auf den Weg hinaus. Grace stützte den Ellbogen auf den Tisch, ihr Gesicht zeigte Entschlossenheit. Das Lächeln war verschwunden. Vater Roubeau änderte seine Taktik.
    »Haben Sie Kinder?«
    »Einmal wünschte ich es – aber jetzt – nein, Gott sei Dank, nicht.«
    »Sie haben eine Mutter?«
    »Ja.«
    »Die Sie liebt?«
    »Ja«, flüsterte sie.
    »Und einen Bruder? – Aber nein, er ist ein Mann. Aber eine Schwester?« Sie nickte, und ihr Haupt sank herab.
    »Die jünger ist? Wieviel?«
    »Sieben Jahre.«
    »Und Sie haben sich alles wohl überlegt? Haben an sie gedacht? An Ihre Mutter? Und Ihre Schwester? Sie steht auf der Schwelle des Alters, da sie erwachsen sein wird, und das, was Sie jetzt tun werden, hat vielleicht viel für sie zu bedeuten. Könnten Sie jetzt vor sie hintreten, ihr in das frische, junge Gesicht blicken, ihre Hand in der Ihren halten oder Ihre Wange an die ihre legen?«
    Bei seinen Worten erwachten tausend Erinnerungen in ihr, sie rief: »Nein! Nein!« und wich zurück wie die Wolfshunde vor der Peitsche.
    »Aber all das müssen Sie bedenken, und lieber jetzt als später.«
    Seine Augen, die sie aber nicht sehen konnte, drückten unendliches Mitleid aus, seine gespannten, bebenden Züge aber waren unnachsichtig. Sie hob den Kopf vom Tische, drängte die Tränen zurück und kämpfte, um sich zu beherrschen.
    »Ich gehe fort. Sie werden mich nie wiedersehen, und sie werden mich vergessen. Für sie werde ich tot sein. Und – ich gehe mit Clyde – heute noch.«
    Es schien unwiderruflich. Wharton trat auf sie zu, aber der Priester hielt ihn durch einen Wink zurück. »Sie haben sich Kinder gewünscht?«
    Sie nickte.
    »Und darum gebetet?«
    »Oft.«
    »Und haben Sie daran gedacht, was würde, wenn Sie jetzt Kinder bekämen?«
    Vater Roubeaus Augen weilten einen Augenblick auf dem Mann am Fenster.
    Ein lichter Schimmer glitt über ihr Gesicht. Dann ging ihr die Bedeutung seiner Worte auf. Sie hob flehend die Hand, aber er fuhr fort.
    »Können Sie sich ein unschuldiges Kind in Ihren Armen vorstellen? Einen Knaben? Gegen ein Mädchen ist die Welt nicht so hart. Ach, Ihre Seele würde von Bitternis erfüllt werden! Und könnten Sie stolz auf Ihren Knaben sein und sich über ihn freuen, wenn Sie andere Kinder sähen –?«
    »Oh, haben Sie Mitleid! Schweigen Sie!«
    »Ein armer Ausgestoßener – «
    »Nein! Nein! Ich will umkehren!« Sie lag zu seinen Füßen.
    »Ein Kind, das ohne einen bösen Gedanken aufwächst, und eines Tages schleudert ihm die Welt ihre Verachtung ins Gesicht!«
    »Ach, mein Gott! Mein Gott!«
    Sie umklammerte seine Knie. Der Priester seufzte und hob sie auf. Wharton wollte sie an sich reißen, aber sie schob ihn zurück.
    »Komm mir nicht nahe, Clyde! Ich gehe wieder zurück!«
    Die Tränen strömten ihr über die Wangen, ohne daß sie sie zurückzudrängen versuchte.
    »Nach allem, was geschehen ist? Das kannst du nicht! Ich gebe es nicht zu!«
    »Rühr mich nicht an!« Sie wich zitternd

Weitere Kostenlose Bücher