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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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wie er mir jetzt den Weg abgeschnitten hat, nicht. Er weiß – das sehe ich, so blickt er, so steht er da –, dass er damit ein Statement abgegeben hat, an dem es nicht viel zu deuteln gibt.
    Was will er? Ansätze zu einem möglichen Gespräch oder etwaigen Verhandlungen gibt es nicht. Was sieht er? Keine Frau. Ein Insekt vielleicht. Ein schwitzendes, verängstigtes Wesen, ein armseliges Opfer, das er sich aus unerfindlichen Gründen vorknöpfen muss, das ihn beleidigt hat und das kleingemacht und eingeschüchtert werden muss, das er kaputtmachen kann, wenn er will. Mir wird in diesem Moment auch bewusst, dass ich nicht mehr attraktiv genug bin. Ich kann zwar immer noch sehr gut aussehen, wenn ich geschminkt bin und etwas Hübsches anhabe, aber für einen wie den hier bin ich kein Geschenk. Ich trage nicht viel auf der Haut, und das Wenige liegt auch noch sehr eng am Körper an, aber für mich ist deutlich spürbar, dass ich diesen Mann nicht ablenken kann, dass er nichts sieht, was ihn milder stimmt, für mich einnimmt. Nicht, dass ich darauf aus wäre…
    Wie hilflos mein Körper ist, ich bin. Und jetzt erst meldet sich die richtige Angst. Sie ist wie ein Sturm, der in mich hineinfährt, ein Orkan der Angst. Die Erkenntnis, dass ich unattraktiv für ihn bin, macht mich womöglich noch ängstlicher, als wenn er zu erkennen gegeben hätte, dass es ihm um mich als Frau geht. Es gibt für ihn nichts zu gewinnen, sondern nur etwas zu vernichten und zu zermalmen.
    Und ich verfluche meine Eitelkeit.
    25
     
    »Was sollte das?«, fragt er betont langsam.
    Er nimmt eine noch bequemere Haltung ein, reibt sich an seinem Wagen, als handle es sich um ein Tier, dessen Loyalität außer Frage steht. Ich antworte nicht, ja versuche sogar einen leicht spöttischen, ungläubigen Blick aufzusetzen, als könnte ich noch alles ins Lächerliche ziehen, wenn ich Zweifel am Ernst der Situation demonstriere. Hokuspokus fidibus!
    Ein absurdes Universum, in das ich da geraten bin. Ich frage mich, ob ich den Mann schon einmal gesehen habe. Die Sonnenbrille, die Haltung, der Hass. Ein großer, hässlicher, aggressiver Mann, der keine Enttäuschungen wegstecken kann, den Misserfolge und Demütigungen fuchsen, der aus Faulheit oder weil er als Kind ADHS hatte, in seinem Leben gescheitert ist, der immer mit den Fäusten draufhaut, wenn ihm was in die Quere kommt.
    »Was sollte das?«, wiederholt er.
    »Sie haben mich beinahe angefahren«, sage ich so selbstbewusst ich kann.
    Ich bekomme weiche Knie.
    »Was sollte das?«, sagt er zum dritten Mal, als hätte er gar nicht gehört, was ich gesagt habe.
    Jetzt bin ich mir sicher. Er lechzt nach Blut. Mit Vernunft ist ihm nicht gedient. Er löst sich von seinem Wagen. Ein paar Schritte, und er steht vor mir.
    Ich rühre mich nicht, weiche nicht zurück, bin fest entschlossen, nicht durchblicken zu lassen, dass ich seine Überlegenheit spüre.
    Er ist mir jetzt so nahe, dass ich seinen Atem rieche und den Geruch, den sein Körper ausströmt, ein muffiger Geruch, dem etwas von Azeton anhaftet. Ungewaschener Penis, denke ich. So werde ich ihn meinen Freundinnen beschreiben, im Universum unseres Humors, das jetzt so unendlich weit entfernt ist. Ein weißgrauer Wikinger, der nach ungewaschenem Penis riecht.
    »Wollen Sie mir Angst machen, oder was?«, frage ich mit größtmöglicher Verachtung.
    Meine Stimme zittert, wie ich verärgert feststellen muss. Meine Zunge ist so schwerfällig, als hätte ich statt ihrer ein Steak im Mund. Ich bin ungeheuer wütend, aber leider ist meine Angst größer.
    »Hast du denn keine Angst?«, raunt er. »So ganz allein im Wald, wo nie einer hinkommt? Findest du es da nicht ein bisschen dumm, mitten auf der Straße rumzuhampeln und fremden Autos hinterherzuschreien?«
    »Ach, lass mich doch in Ruhe, Mann«, piepst meine dünne, verlorene Stimme ums Steak herum. »Mitten auf der Straße war ich gar nicht.«
    Er kommt noch näher, ich fühle seine Körperwärme und will einen Schritt nach hinten machen. Doch mit panischem Schrecken entdecke ich, dass das nicht geht, weil dort ein Baum ist.
    »Das lass ich mir nicht bieten.« Er betrachtet mich eingehender. »Nein, das lass ich mir nicht bieten«, sagt er noch einmal, scheinbar gedankenverloren. Er hat die Augen hinter der Sonnenbrille halb zugekniffen, und es sieht so aus, als schiele er auf meinen Busen. »Sara joggt hier öfter, hm?«
    »Wo- woher kennen Sie meinen Namen?«, frage ich.
    »Sara«, murmelt er. »Einfach

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