Der Sohn (German Edition)
laufen kann. Jetzt erst, denke ich. Jetzt noch. Ich versuche, mich ganz dünn zu machen und schlapp runterzurutschen, doch ehe ich mich ihm so entziehen könnte, hat er mich schon mitgezerrt, fest an sich gepresst, so dass ich gar nicht eigenständig laufe, eine Schraubzwinge ist er, seine Körperwärme schrecklich, bis wir bei der Öffnung im Stacheldraht sind, der Abzweigung des Reitwegs, die also doch da war, und er mich in den Wald zerrt und hinter einem Baum unsanft zu Boden drückt. Hier sind wir von der Straße her unsichtbar.
Mein Rücken schrammt über den Stamm eines gefällten Baums und eine hochragende Baumwurzel, und ein unmenschlicher Stich fährt in meinen Fuß. Ich höre mich schreien, so laut und hoch, dass ich meine eigene Stimme nicht wiedererkenne, und dann bohrt sich mir nichts, dir nichts ein Tannenzapfen in meinen Rachen, und ich schmecke Harz, verspüre Schmerzen an Gaumen und Zahnfleisch. Er hält mir die Arme fest, er ist stärker, viel stärker als ich, und er keucht. Ich denke an meine Kinder, die ich mit meinem Körper schützte und tröstete, als sie klein waren – ein Kuss zur Segnung, ein Streicheln zur Beschwichtigung des Bösen. Das Gegenteil von dem jetzt.
Ungeduldig fummelt er an meiner Radlerhose, und gleich darauf spüre ich seine dreckigen Finger in mir, zwei gleichzeitig. Eine Art Seufzen entfährt seinem Mund, während er mir den Tannenzapfen tiefer in den Mund drückt. Ich würge. Jetzt auch ein schneidender Schmerz in meinem Unterleib – seine Finger graben tief und besitzergreifend.
Sein Schwanz steht nackt und ledrig wie eine Schlange vor seinem Bauch, er muss sehr erregt sein, von Hass erregt, und ich ersticke fast, als er sich mit den Knien mehr Platz zwischen meinen Beinen verschafft, damit seine schändenden Hände, die sich nähernde Schlange freies Spiel haben. Ich trete, ich winde mich, ich schlage meinen Kopf gegen den seinen.
Trotz Tannenzapfen probiere ich zu schreien, aber ich muss schlucken, ich ersticke fast an meinem Speichel, den harzigen Schuppen des Zapfens. Ein mühsames Krächzen ist alles, was ich herausbringe. Auch der Versuch, meine Finger in seine Augenhöhlen zu bohren, scheitert, denn mit dem Gewicht seiner Schultern drückt er mir die Arme runter und stößt mir mit aller Macht sein Ding zwischen die Beine.
»Bitch«, knurrt er.
26
Ich bin einmal ein junges Mädchen gewesen, nach dem man sich umdrehte, ein Mädchen, das manche Jungen verunsicherte und bei anderen den Wunsch, ja auch perverse Lust weckte, sie zu besitzen, zu dominieren. Um die zwanzig bin ich da gewesen. Was ich davor war? Unbekannt. Irgendein Kind, irgendeine Person. Eher so wie jetzt vielleicht. Nur ohne Falten.
Die Rolle hatte ich vom einen auf den anderen Moment: das hübsche Mädchen. Als ich merkte, dass ich das konnte, hübsches Mädchen sein, nahm ich die Rolle einfach an. Und danach wurde ich sie nicht mehr los. So ein Mädchen hat eine Mädchenpersönlichkeit, ungeachtet dessen, wer sie ist und wie sie ist. Die Mädchenrolle verschleiert alles andere – sie ist Freibrief für Albernheit, Gekicher, aufreizendes Tanzen, hemmungsloses Flirten, Koketterie, unbesorgte Vergesslichkeit, grobe Verantwortungslosigkeit. Ein Mädchen ist nun mal ein Mädchen. Mir taten immer die Jungen leid, die auf mich standen. Ich selbst habe selten etwas dabei empfunden und bin höchstens dreimal verliebt gewesen.
Jetzt lautete die Frage: Was bleibt, wenn die Möglichkeit, hübsch zu sein, abnimmt, ja vielleicht gar nicht mehr gegeben ist? Wenn diese Rolle nicht mehr zur Verfügung steht? Wann ist das Mädchensein vorbei und vergangen? Danach gähnte das Niemandsland. Die Vorzüge des Älterwerdens wogen das nicht auf, fand ich, bei aller lässigen Entspanntheit nicht. Aber auch mit der war es von nun an vorbei. Egal. Alles egal.
27
»Hallo?«
Eine Männerstimme. Unser Kampf erlahmt, und sogar die Penetrationsversuche mit seinem Knüppel hören auf. Ich trete heftig um mich, aber das ist jetzt gar nicht mehr nötig.
Mit einem verärgerten Ächzen erhebt sich mein Angreifer, sein Schwanz baumelt kurz über mir, blaurot vor dem Grau des Himmels, bevor er hinter dem Reißverschluss verstaut wird – ich muss an einen Staubsaugerschlauch denken.
Die Arme plötzlich frei, ziehe ich den Tannenzapfen aus dem Mund und schreie. Es gelingt nicht gleich.
»Hilfe!!«
Er hält mir sofort den Mund zu, ich sehe, wie er die Ohren spitzt. Sein quer auf dem Weg stehender Wagen war
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