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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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Geruch von seinem Atem, seinen Achseln, seinen Fingern. Die widerliche Intimität seiner Nacktheit. Die besitzergreifenden, dreckigen Finger in meiner Körperhöhle. Das Blaurot seines Knüppels, auf den er mich spießen wollte, das unbarmherzige Knie, das meine Beine auseinandergedrückt hatte.
    Ich fand, dass all das nicht in Worte gefasst werden durfte. Weil es, in Worte umgesetzt, explosiv werden würde, giftig, vielleicht sogar tödlich. Was nicht ausgesprochen wurde, existierte nicht. Und es war viel besser, dass es nicht existierte, gesünder auch. DAS TIER , wie ich den Mann inzwischen nannte, hatte nicht nur mich vergewaltigt, sondern auch meinen Vater, der all die Jahre so liebevoll um mich besorgt gewesen war. Meinen Vater, der wohl oder übel die Hand von uns hatte abziehen müssen.
    Es war nicht passiert. Nur sein Gesicht war ein hartnäckiger Fleck, den ich nicht wegbekam. Ich hatte es zu lange aus nächster Nähe gesehen. Mit seiner Sonnenbrille hatte er eigentlich gar kein Gesicht gehabt. Groß war er gewesen. Knollennase. Großporige Haut. Rosafarbene, ungebräunte Haut. Strohig weißgraues Haar, das vor allem an den Seiten unter seiner Kappe hervorschaute.
    Ich musste mich fast übergeben, als ich an die fettige rosa Haut von seinem Hals dachte, die schreckliche Intimität seines schütteren grauen Schamhaars. Meine ganze Familie hatte er vergewaltigt, beschmutzt, geschändet.
    »Willst du denn nicht, dass der Mann gefasst wird?«, hatte Jacob gerufen, der nicht alles wusste.
    »Und ob«, hatte ich gesagt. »Das ist ein dreckiges Arschloch. Ich hoffe, er fährt sich tot.«
    »Du musst Anzeige erstatten, Saar, der gehört hinter Gitter! Der Mann ist eine Gefahr für die Gesellschaft!«
    Ich traute mich nicht. Wenn ich darüber redete, gäbe es ihn, gäbe es das, was passiert war, und dann hätte er erreicht, was er wollte. Die Geschichte würde lebendig werden, vernichtend wie ein Feuer.
    Ein Mann hatte mich in der Seele schänden wollen.
    Ich war Sara, er hatte es gesagt. Woher wusste er das?
    Oder hatte er »eine Sara« gesagt?
    Schließlich ging ich doch noch am gleichen Nachmittag zur Polizei, entschlossen, nur über die sichtbaren Spuren der Misshandlung zu sprechen. Aber die Beamtin konnte ich nicht an der Nase herumführen. Die erriet es sofort. Und so beantwortete ich ihre fürchterlichen Fragen, wenn auch möglichst knapp – wir waren allein, es durfte niemand dabei sein.
    Niemand dürfe etwas davon erfahren, flüsterte ich.
    »Wir werden diesen Mann finden«, sagte die Polizistin.
    »Und ob«, erwiderte ich flüsternd. »Und ob. Ich bringe ihn um, wenn er mir noch einmal über den Weg läuft. Ich reiße ihn in Stücke. Das ist kein Mensch, so jemanden darf es nicht geben.«
    Die Polizistin nickte mitfühlend, aber auch ein bisschen abwesend. Sie sei Wut und Rachegefühle gewohnt, sagte sie, und sie habe gelernt, dass die rausmüssten. Freien Lauf lassen, das helfe.
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    Danach konnte ich ins Bett, und unter dem Einfluss der Schmerz- und Beruhigungsmittel schlief ich fast zwölf Stunden am Stück. Um sieben Uhr morgens wurde ich mit hämmerndem Schädel wach. Beim Aufstehen merkte ich, wie gerädert ich war, wie sehr mir alles weh tat. Ich nahm gleich wieder zwei Schmerztabletten.
    Jacob schlief noch und schnarchte ohrenbetäubend. Das hatte mich wohl geweckt. Normalerweise schlief ich mit Ohrstöpseln, aber die hatte ich unter den gegebenen Umständen weggelassen. In meinem Fußgelenk pochte der Schmerz. Die Geschehnisse von gestern kamen mir unwirklich vor, weit weg, hundert Jahre entfernt. Aber unwillkürlich presste ich ab und zu die Hände auf den Bauch, als könnte ich die Besudelung durch seine dreckigen Finger damit im Nachhinein von mir abkratzen. Er hatte mich nicht wirklich gehabt. Es war nicht passiert. Finger bedeuteten nichts. Was waren schon Finger? Damit machte man keinen Eindruck, das blieben halbherzige Versuche der Überwältigung, wie früher, wenn die Jungs wenigstens irgendetwas erreichen wollten, in der Kälte, unter dem Mantel, beim Nachhausebringen, irgendwas, ein bisschen Gefummel, mehr nicht. Für mich war das in seiner Hilflosigkeit immer das Letzte gewesen. Große Leidenschaft weckte das bei keinem, denn es führte ja zu nichts. Zu kalt, zu ungeschickt. Im Stehen aneinander rumzufummeln war bemitleidenswert. Für den Jungen höchstens der Ansatz zu einem Ausrufezeichen (was der sich traut!), und vor allem etwas, womit er hinterher angeben konnte.
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    Es

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