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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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seinen Silos, um seine Vorräte zu kontrollieren. Früher hatte ich unbeholfene, gutmütige Männer gern. Aber das ist vorbei, wie ich jetzt feststelle. Wenn ich ihn ansehe, muss ich mich zusammenreißen, dass es mir nicht hochkommt. Mehr als alles andere möchte ich, dass er mich allein lässt, aber das will er auf keinen Fall. Mit besorgtem und unglücklichem Gesicht – denn auch wenn er ein schlichtes Gemüt ist, spürt er doch ganz genau, dass er als Mann jetzt keine guten Karten hat – starrt er immer wieder auf mein Fußgelenk, das sich allmählich dunkelblau färbt und immer noch weiter anschwillt. Gott sei Dank macht er keine Anstalten mehr, mich stützen zu wollen.
    »Gott, war ich dumm«, sagt er wieder und wieder. »Ich dachte, Sie kennen ihn, verstehen Sie? Dass Sie Streit hatten oder so. Gehört das übrigens Ihnen?«
    Er hat das zerrissene Goldkettchen in der Hand. Das Chai ist noch dran.
    29
     
    Die Untersuchung im Krankenhaus ergab, dass mein Knöchel nicht gebrochen war. Aber das Außenband war gerissen. Dazu Prellungen im Rücken und ein blaues, aber zum Glück unversehrtes Auge.
    Jacobs Wut war ziemlich schnell verraucht, als er mich sah. Er blieb hinter dem weißen Vorhang sitzen, den der untersuchende Arzt um die Behandlungsliege zugezogen hatte. Dessen Durchlässigkeit hielt mich nicht davon ab, das meiste (aber längst nicht alles) zu erzählen – genüsslich fast, ohne eine Träne zu vergießen. Mir war schon jetzt, als hätte sich das alles in einem anderen Leben abgespielt, vor ewig langer Zeit.
    Tess hatten wir am Telefon nur gesagt, dass ich gefallen sei, aber sie spürte wohl, dass mehr passiert war. Später fiel mir noch auf, dass sie einen Blick mit Jacob austauschte, aber da ich von dem netten Arzt im Krankenhaus ein Beruhigungsmittel bekommen hatte, hatte ich weder die Kraft, irgendwen zu beruhigen, noch zu erfassen, dass vielleicht noch irgendetwas anderes vorging.
    30
     
    Mein Zuhause empfing mich ganz ungerührt. Alles stand und lag noch genauso da wie am Morgen, als ich aufgebrochen war. Natürlich. Es waren ja seither nur ein paar Stunden vergangen. Aber für mich hatte sich das Leben inzwischen grundlegend verändert.
    Jacob wollte, dass ich mich hinsetzte oder hinlegte, aber das konnte ich nicht. Ich musste mich bewegen, so müde ich auch war. Auf meinen Krücken streunte ich durch die Küche, nach Normalität, Alltäglichkeit, Belegen für meine Existenz und Gegenwart dürstend. Mit vor Schwindel summendem Kopf starrte ich auf die Flecken in meinen Kochbüchern, die Gebrauchsspuren an meinen Kochlöffeln, die zarten Blätter meiner Basilikumpflänzchen. Ich hinkte in mein Zimmer, fuhr mit der Hand über meine Bücher, schaute sehr lange in den Spiegel, doch das änderte nichts daran, dass ich eine Fremde sah. Ich setzte mich an den Computer und las meine Mails, Verabredungen, Anfragen, ein witziges YouTube-Filmchen, das mir jemand geschickt hatte. Alles hatte etwas erschreckend Nichtiges. Oder vielleicht waren es nicht die Mails, die nichtig geworden waren, sondern ich selbst, nichtig, verdünnt, verkleinert, eine Miniaturausgabe meines alten Ichs.
    Mein Gesicht war verquollen, mein Unterleib war der einer anderen, unbekannt. Ich sah mir meine Arme an, meine Beine – die Ärmsten, zerschunden, voller blauer Flecken, alles tat weh. Wie angestoßenes Obst. Ich würde faulen, vermodern, der Gedanke wollte mich nicht loslassen. Und ich fühlte mich schmutzig, so schmutzig.
    Mein Leben war ganz weit weg, zu wenig fassbar, um es noch überblicken zu können. Ich musste schlafen, ausruhen, aufhören zu denken. Aber mehr als alles andere wolle ich in die Badewanne, sagte ich zu Jacob. Das gehe, hatte man mir versichert, wenn ich mein Bein außenbords hielt. Der Verband um meinen Fuß durfte nicht nass werden. Jacob half mir nach oben ins Bad. Sein Arm um meine Taille, die Wärme seines großen Körpers, da musste ich sofort weinen. Er war mein Mann, er war mein Haus. Mit einem Mal war er das wieder. Er wollte mir nichts Böses. Er war sanft. Das war schon sehr viel, das war vielleicht sogar genug. Auch darüber musste ich weinen.
    So genau ich auch beschrieben hatte, woher meine Verletzungen rührten und wie unglaublich proletenhaft ich gedemütigt worden war, ein paar entscheidende Fakten hatte ich für mich behalten. Die mussten jetzt in der Wanne weggewaschen werden, ehe sie mir womöglich doch noch herausrutschten. Der Azetongeruch von seinem Schwanz. Der säuerliche, schale

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