Der Sohn (German Edition)
– ja, wovor eigentlich? Dass ich zu emotional reagiere? Dass ich gleich zusammenklappe wie ein Freifräulein, dem man das Riechfläschchen reichen muss? Hm? Ich muss sofort zu ihm! Wir müssen ihm das ausreden! Und wieso kann er so einfach in die US - Army ? Er ist Niederländer!«
»Er ist in den Staaten geboren, wie du weißt«, sagte Jacob tonlos. »Er ist halber Amerikaner. Mit so etwas mussten wir rechnen, mussten wir immer schon rechnen. Wir haben es nicht erwartet, aber wir mussten damit rechnen. Und ist es so schlecht, dass unser Sohn das möchte? Dass er an etwas glaubt? Das ist doch das Erbe unserer eigenen Geschichte, oder, Saar? Glaubst du nicht? Findest du nicht, dass wir das respektieren sollten? Dass wir stolz auf ihn sein sollten? Er möchte über sich selbst hinauswachsen. Steht es uns da zu, ihn auf den Boden zurückzuziehen? Das wäre doch nicht zu rechtfertigen, oder?«
Du hast das von Anfang an geplant, verdammt noch mal, dachte ich plötzlich. Es ist alles deine Schuld. Du wolltest unbedingt, dass deine Kinder in den USA geboren werden. Und jetzt hast du mit all deinem Gerede und deinen Theorien einen Sohn geschaffen, der kämpfen will. Der zum Militär will. Gratuliere! Mein einziger Sohn, der mir das Liebste auf der Welt ist.
Dein Sohn, Jacob, dein einziger Sohn.
Das ist keine Fiktion, Jacob, das ist die Realität, du naiver Spinner! Die echte, die harte, die einzige Realität. Die hast du, Jacob, mit deiner Faszination für Kriegsgeschichten nie erlebt, nie durchschaut. Du weißt nichts von der Welt, du, der doch immer alles weiß. Du hast selbst nie gekämpft, warst nie wirklich in Gefahr. Wenn du Blut siehst, wirst du ohnmächtig!
Das ist dein Sohn, dein einziger Sohn. Jetzt verschlägt es dir die Sprache, was? Und wenn ihm etwas zustößt, was Gott verhüten möge? Dann verlasse ich dich, dann gehe ich weg und komme nie mehr zurück.
Aber als er mich anschaute, sah ich, dass Tränen in seinen Augen standen.
»Natürlich gefällt mir das nicht, Saar, natürlich ist das schmerzlich«, sagte er.
Einen Moment lang fühlte ich mit ihm, doch dann krampfte sich mein Herz wieder zusammen – vor Ärger, trotz seiner Tränen.
Die Banalität der Worte »gefällt mir das nicht« und »schmerzlich« wurmte mich. Du weißt nichts, dachte ich, du empfindest nichts, für dich ist alles abstrakt, Fiktion, die dramatisiert werden kann.
»Aber gleichzeitig bin ich auch unheimlich stolz«, fuhr er fort.
»Stolz!«, schrie ich. »Stolz!«
Jacob verstummte.
»Du bist verrückt«, sagte ich. »Halt mich, ich glaube, jetzt fall ich wirklich in Ohnmacht. Vor Wut!«
Jacob nahm mich in die Arme. Ich fiel nicht in Ohnmacht, sondern setzte mich. Ihm gegenüber. Auf dem Tisch standen noch die Marmeladengläser zwischen den Brotkrümeln vom Frühstück. Jacob starrte, die Lippen fest zusammengepresst, ins Leere, einen eigenartigen, entrückten Ausdruck im Blick. Immer noch rann ihm eine Träne die Wange hinunter.
»Das…«, seine Stimme war tief und rauh, »das hätte ich nie erwartet«, sagte er. »Dass mein Sohn eines Tages Marine werden will. Ich hätte mir das nie zugetraut. Damit wird der Geschichte eine unglaubliche Wendung gegeben, finde ich. Es ist so… groß. Verstehst du das denn nicht, Saar?«
»Groß?«, sagte ich. »Ja, der größte Fehler seines und unseres Lebens!«
Jacob erhob sich und ging.
37
Abends sagte Jacob: »Ich habe mir etwas überlegt – es wird euch vielleicht erschrecken.«
Was jetzt wieder?, dachte ich. Ich hinke hinterher, mein Kind weht davon, verschwindet in der Ferne, und ich bekomme es nicht mehr zu fassen.
Wir hatten uns thailändisches Essen kommen lassen. Ich schälte gerade die Alufolie von den Behältern, Tess stellte Teller auf den Tisch. Sie sah blass aus, ihre Haut fleckig, und ihre langen Haare waren fettig. Sie wirkte einsam und verdrossen, fand ich. Ich hätte sie am liebsten auf den Schoß genommen, aber das ließ sie nicht mehr zu.
»Vielleicht sollten wir wieder in die USA ziehen. Dann könnten wir Mitch wenigstens sehen, wenn er Urlaub hat.«
»Waaaas?«, rief Tess.
»Hm«, machte ich. »Ja. Ja, warum nicht. Aber lass uns noch etwas darüber nachdenken, okay?«
In San Francisco war jetzt Vormittag, aber ich wollte Mitch noch etwas schonen – obwohl er mich überhaupt nicht geschont hatte. Ich wollte zu ihm. Möglichst sofort.
Erst als wir alles aufgegessen hatten, sagte Jacob: »Mitch schrieb, dass er Berkeley vorläufig nicht
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