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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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ankündigendes Gewitter? Unablässiges Kreischen oder ein quietschendes Scharnier? Man muss den Kontext kennen.
    Allein, gefesselt, frierend in einem leeren Zimmer unter dem Dach, kann es einem so vorkommen, als befänden sich außerhalb des Zimmers wer weiß wie viele Menschen. In den USA lassen sie dich beim Arzt seelenruhig eine Stunde warten in deinem Papierkleid. Der Doktor kommt gleich. Du hast davor dann schon eine Ewigkeit im Wartezimmer gehockt, noch angezogen, mit einer Zeitung oder Zeitschrift. Du bist aufgerufen worden, hast dich ausgezogen, und da sitzt du nun. Keine Zeitschriften oder Zeitungen mehr in diesem Raum, nur alte medizinische Geräte und meistens ein abgenutzter Tisch. Das ist ein ganz neues Warten, das schlimmer ist als das vorherige, weil du nackt bist und in dem Papierkleid zu frieren beginnst. Der Arzt sollte gleich kommen. Aber er kommt nicht. Die Geräusche, die du draußen auf dem Gang hörst, direkt hinter der Tür, vor der du fast nackt sitzt, nehmen etwas Beängstigendes an, weil du denkst, dass über dich geredet wird, und wenn du Lachen hörst, dass über dich gelacht wird. Das Hin- und Hergerenne und Verschieben von Dingen scheint nur dafür gedacht zu sein, dich zu piesacken. Als hätten alle ein teuflisches Vergnügen daran, dass du in einem Papierkleid hinter dieser Tür sitzt. Nach einer Weile kommst du dann von diesem Gedanken ab und gelangst zu der Überzeugung, dass sie spontan beschlossen haben, eine Party zu feiern, und dich in ihrer Festlaune völlig vergessen haben. Und das ist eigentlich noch das unangenehmste Gefühl.
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    Von Party kann keine Rede sein. Ich hocke in meinem eigenen Haus, und nur die Fesseln, die mir in Arme, Handgelenke, Schenkel, Fußgelenke schneiden, hindern mich daran, noch heftiger zu zittern. Weggeschlossen, aus dem Weg geräumt.
    Es geht den beiden offenbar vor allem um Jacob, die Wertsachen, den Safe, die Kreditkarten, die PIN -Codes. Ich versuche die Hände zu bewegen, um die Fesseln vielleicht etwas zu lockern. Normalerweise bin ich gut im Entwirren von Knoten und verfilzten Haaren. Aber jetzt ist das Ganze zu straff und zu fest. Da löst sich nichts. Trotzdem ruckle ich wie eine Irre.
    Wenn ich mich nur befreien kann, dann kann ich zu Tess, die Polizei rufen.
    Nicht, dass ich mein Handy dahätte oder hier oben ein Festnetzanschluss wäre. Außerdem ist meine Tür abgeschlossen. Sorgen für später.
    Ich schüttle den Kopf, spanne und entspanne meine Muskeln an Armen, Händen, Schenkeln, Beinen: Bewegung, Bewegung, diese Knoten müssen sich lösen.
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    Eine Zeitlang ist es unbegreiflich still im Haus. Dann höre ich sehr weit entfernt plötzlich Schreie und schnelle Schritte, und ich erkenne Jacobs Stimme – er brüllt, durch alle Türen hindurch. Ich ersticke fast vor Angst.
    Lautes Rufen, unbestimmte Geräusche. Erneute Schreie.
    Und dann ein Schuss.
    Schritte, die sich entfernen, ein anspringender Motor, ein Auto, das davonfährt?
    Unermessliche Stille. Mir bleibt das Herz stehen.
    Sterbe ich? Ist Jacob tot? Ist jetzt unversehens alles vorbei? Unsere Pläne, die Aufgekratztheit und Angeberei, der Umzug, die Flachserei, das gute Essen, die Filme?
    Müssen Tess und ich jetzt allein nach Amerika?
    Ich verspüre eine verzweifelte Kraft, und ich versuche mich so heftig wie möglich zu bewegen, in den engen Grenzen, die mir gesetzt sind. Jetzt bekomme ich jedenfalls den Stuhl zum Wippen, aber ich habe eine Heidenangst, dass ich mitsamt Stuhl umfalle, ohne mich abstützen zu können. Etwas mehr Bewegungsfreiheit habe ich schon, oder bilde ich mir das ein?
    Höre ich wieder die Haustür? Sind sie überhaupt weg? Ich horche, ob ich jemanden heraufkommen höre. Tess, ich muss zu ihr, wo ist sie?
    Meine Tess, der wilde Clown mit den eigensinnigen Plänen und den Geheimnissen. Tess mit ihrem Herz für Tierkinder, junge Katzen, junge Hunde, Hamster. Der Verrat – ihr nicht helfen zu können.
    Ich weine lautlos und ohne Tränen – Augenbrand.
    Auf dem Flur höre ich ein leichtes Geräusch, eine Art Scharren.
    Ich könnte platzen. Ich sitze mit dem Rücken zur Tür und kann nichts sagen, weil ich geknebelt bin. Aber ich kann mit dem Stuhl wippen. Kabumm! Kabumm! Leise wird an der Tür gerüttelt.
    Ich wippe so heftig mit meinem Stuhl, dass ich mich zur Tür drehen kann. Es wird weiter daran gerüttelt. Ich halte die Luft an, soweit das noch geht mit dem widerlichen Papier im Mund, an dem ich fast ersticke.
    Und dann kommt Tess

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