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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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getroffen und ist in die Wand dahinter eingeschlagen.
    »Tun, was wir sagen!«, sagt der Mann, mit der Pistole wedelnd. Zwischen seinem Handschuh und dem Pulloverärmel wird ein Streifen Haut sichtbar. Dunkle Haut. Mich überkommt eine eisige Ruhe.
    Zu meiner Erleichterung richtet Jacob sich leicht auf, ächzend, seine Schulter blutet. Er nickt mir zu, mit aschfahlem Gesicht.
    Der andere Mann fasst mich beim Arm, ein stechender Schmerz in meiner Schulter. Roh fesselt er meine Handgelenke.
    Der mit der Pistole will Jacob hochziehen, aber Jacob kann nicht auf den Beinen stehen.
    Das sorgt für kurze Verwirrung. Dann bekommt Tess einen Schubs.
    »Mitgehen!«
    Der Stämmige schiebt sie zur Tür.
    »Mama!«, ruft sie. »Papa!«
    »Tess!«, schreie ich. »O Gott, Tess!«
    75
     
    Wir hören sie die Treppe hinaufgehen, Tess und den Mann.
    Tess schreit, dann ein dumpfer Schlag und noch mehr Geschrei, und dann sind zu viele Türen zwischen ihnen und uns, um noch wahrnehmen zu können, was dort geschieht.
    Ich will schreien und schluchzen, aber ich bekomme keinen Laut heraus. Der dagebliebene Mann hält uns mit der Pistole in Schach, während er mit seinen Handschuhpranken alle meine Schubladen durchwühlt. Dabei behält er immer die Tür im Auge.
    »Wo Schmuck?«
    Jacob hat sich noch etwas weiter aufgesetzt, ich sehe, wie er mit sich zu kämpfen hat. Jede Sekunde, die vergeht, ist eine Qual.
    Tess.
    Die Alarmanlage ist nicht losgegangen, denke ich. Wie sind sie hereingekommen? Offenbar denkt Jacob dasselbe.
    »Wer seid ihr?«, fragt er ächzend. Er beißt sich auf die Lippen vor Schmerz. »Was wollt ihr? Wie seid ihr hier reingekommen?«
    »Maul halten.«
    Tiefe Stimme, starker Akzent. »Schmuck, Kreditkarten, Geld. Schnell.«
    »Meine Tochter!«, fleht Jacob.
    Der Mann zielt erneut auf ihn.
    »Still. Oder du tot. Schmuck! Kreditkarten!«
    Jetzt erst sehe ich die Mülltüte in der Hand mit der Pistole. Ich schaue nur zu. Nimm alles mit, aber geh, geh!
    Er hat schon etwas gefunden, Schachteln in meinem Kleiderschrank, zwischen den Socken. Die beiden Uhren, die ich nie trage, in Samtbeutelchen, die kleinen Lederschachteln, in denen ich meine Ringe, Ketten und Ohrringe aufbewahre. Das Schmuckkästchen mit den Briefen.
    »Nein!«, schreie ich, »meine Briefe! Gib her!«
    Es verschwindet in der Tüte.
    »Mehr?«
    Er zieht alle meine Kleider von den Bügeln, sie fallen auf den Boden. Der Mann hat es eilig. Er sucht zwischen meinen Sachen, meiner Unterwäsche, in meinen diversen Handtaschen, alles wird runtergeworfen.
    Ein Schlachtfeld.
    »Wo Geld? Helfen jetzt! Sonst deine Tochter peng, peng!«
    Ich höre Schritte. Die Tür wird aufgestoßen.
    Der Stämmige ist zurück. Er nickt dem anderen zu. Meine Angst wird zu einem Stein, zu Atemnot, tiefem Schmerz, kaum auszuhalten. Tess, was hat er mit Tess gemacht, wo ist sie?
    Die Fesseln schneiden mir in die Handgelenke, meine Finger sind gefühllos, meine Schultern verkrampft.
    »Saar!«, ruft Jacob. So leid er mir tut, ich kann seinen verzweifelten Blick nicht ertragen.
    Ich habe nichts von ihm, er kann mich nicht retten, er überlässt mich meinem Schicksal, überlässt uns alle unserem Schicksal, in seiner Unterhose, seinem T-Shirt, mit seiner blutenden Schulter. Er weiß es nicht mal, Jacob weiß nichts. Nichts von der Gewalt, meinen entblößten Schenkeln, geheimsten Tiefen – und jetzt Tess, er kann uns schon wieder nicht beschützen.
    Der Mann mit der Pistole richtet die Waffe auf mich, als hätte er etwas von mir zu befürchten. Mich überkommt eine unendliche Traurigkeit. Soll es das jetzt gewesen sein? Ist das der Punkt, auf den alles hinausläuft? Ich habe ja nicht geahnt, dass nur noch so wenig Zeit bleibt. Mitch. Der jetzt ganz allein in den Krieg ziehen muss, als Waise, armer, lieber Mitch, wenn er das gewusst hätte. Wenn ich das gewusst hätte.
    Wir sind Teil eines Plans, das wird mir in diesem Moment bewusst, des Plans dieser Männer. Ich sehe einen Terminkalender vor mir, darin unsere Adresse neben dem Datum dieser Nacht. Haben Verbrecher Terminkalender? Heute 04.00 Uhr: Haus ausrauben, drei, nein vier Leben zerstören.
    76
     
    Die Männer beratschlagen schnell, hektisch, scheint es. Dann packt mich der Stämmige bei den Schultern und schubst mich auf den Flur.
    Der mit der Pistole bleibt bei Jacob.
    »Geh!«
    Ich dachte, der Stämmige wolle jetzt von mir hören, wo der Safe ist, Geld, Computer, Kunstwerke, alles, was wir an Wertvollem besitzen, aber er schubst mich

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