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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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nicht im Koma? Er wird doch wieder gesund? Jacob? Komm, streng dich an, wach auf!«
    Ich habe eine merkwürdige, rauhe Kehlstimme.
    »Sie sind weg! Diese Widerlinge sind weg!«
    Die Sanitäter versichern mir, dass Jacob schon durchkommen werde. Aber ihre Bewegungen verraten große Eile, und das versetzt mich in noch größere Panik.
    Das jetzt angehende Blaulicht macht eine neue Geschichte aus unserem familiären Drama – als hätte sich ein Trash-Regisseur seiner angenommen.
    Tess wird zu mir gebracht. Sie sieht mich nicht an, als ich ihre Hand fasse. Fahl und regungslos wie eine Puppe starrt sie auf ihren Vater, ohne ein Wort. Wir fahren beide mit ins Krankenhaus, hinten im Krankenwagen, dessen Sirene mir guttut.
    Da liegt mein Mann auf einer Trage, sein so selbstverständlicher Leib schlaff, sein Blut auf dem Boden, beängstigend. Seine Organe, große Verwerter von Gänseleber, Käse, Geflügel und gutem Wein, sind aus ihrem Zusammenspiel gerissen worden, sein Geist, sein Wille gelähmt, seine großen, immer gestikulierenden Arme still. Sein Körper: Anfang und Ende dessen, der er ist, das Einzige, was er hat. Ob ihm das bewusst ist? Ist es mir bewusst?
    Ich merke, dass ich Jacob wieder einmal predige. Im Kopf jedenfalls. Dem rumorigen, autoritären, lebenslustigen Jacob, der von habgierigen Fremden in nur wenigen Sekunden fast zu einem Nichts reduziert worden ist. Erniedrigt. Die Jämmerlichkeit dessen ist himmelschreiend.
    Wir sind es, denke ich, wir sind die Vase, die ohne erkennbaren Grund zersprungen ist.
    Mitch, Tess, Jacob und ich.
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    Jacob wird operiert. Tess und ich sitzen stundenlang im Krankenhaus. Auch wir werden verbunden und bekommen ein Beruhigungsmittel. Tess spricht nicht. Ich streichle ihr Handgelenk. Wie ein schlappes, totes Vögelchen liegt ihre Hand in ihrem Schoß.
    Endlich kommt Jacob wieder zu Bewusstsein. Der Vormittag ist schon fast herum. Ich habe mit Gott und der Welt telefoniert. Auch mit Berlin, wegen Jacobs Termin bei den Fernsehleuten.
    Jacob hat nicht nur eine Schusswunde in der Schulter, sondern noch eine weitere in Magenhöhe – alle sprechen von einem Wunder, dass er noch lebt. Er kann kaum sprechen. Wir halten uns bei den Händen, auch Tess.
    Sein Zustand scheint sich allerdings stabilisiert zu haben. Die Erleichterung ist überwältigend. Was er mir nicht sagen kann, habe ich schon selbst festgestellt. Alles ist weg – Schmuck, Bankkarten, Kreditkarten, Ausweise, Computer, Handys. Ja, ich habe alle Konten sperren lassen, das kann ich Jacob berichten. Die Handys und Bankkarten bekommen wir wieder. Das antike Silberservice von seinen Großeltern nicht.
    Jacob hat den Safe öffnen und die Wertpapiere und seine Uhrensammlung herausholen müssen. Er habe sich gesträubt, geschrien, die Pistole wegzuschlagen versucht, flüstert er so leise, dass ich das Ohr an seinen Mund halten muss.
    »Für wen hältst du dich denn, Bruce Lee?«, frage ich.
    Da weint Jacob. Ich erschrecke fürchterlich. Alles ist so grässlich anders. Jacob weint nie – höchstens beim Tod seiner Mutter vor fünfzehn Jahren hat er geweint, und das eine Mal, als Mitch mit dem Fahrrad gestürzt und bewusstlos war (aber er hatte sich gar nichts getan). Und natürlich, wenn er in einer seiner selbsterfundenen Geschichten für einen neuen Film aufgeht, Tränen der Verzückung, habe ich sie immer leicht spöttisch genannt. Aber das zählt nicht.
    Ich frage ihn, ob sie in meinem Zimmer gewesen sind.
    Er nickt und versucht etwas zu sagen.
    Ich beuge mich wieder zu ihm und höre ihn flüstern: »Nicht am Schreibtisch.«
    Ich verstehe, was er meint, und küsse seine Hände. Und seine bleichen Lippen.
    Als Jacob ihnen zu folgen versuchte, haben sie noch einmal auf ihn geschossen. Er lag im Flur, hat mir die Polizei erzählt, in einer Blutlache, wie tot.
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    Das Haus ist voller Polizisten und Ermittler in Zivil, und das, was ich jetzt am liebsten machen würde: alles aufräumen, abwischen, beseitigen, was stattgefunden hat, das darf ich jetzt nicht. An zweiter Stelle steht mein Wunsch zu schlafen, aber auch das ist bei all den Leuten um uns herum unmöglich.
    Ich habe vor allem mit Kommissar Gerard Koornstra zu tun, der die Ermittlungen leitet. Ein freundlicher, grauhaariger, guterhaltener Mittfünfziger. Er sagt, so rabiat habe er es selten erlebt. Die Spurensuche könne sich womöglich über mehr als eine Woche hinziehen. Ob wir jemanden hätten, bei dem wir übernachten könnten, Tess und ich. Tess will nur

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