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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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kriegt. Sie scheut sich auch nicht, dabei kurz seine Arme anzuheben, vielmehr erst den einen Arm, dann den anderen, wie es sich gehört, denn nur so ist am Ende alles schön glatt, und die Person fühlt sich wohl, denn schon eine einzige Falte im Laken kann einer bettlägerigen Person regelrecht ins Fleisch schneiden, das glaubt man nicht. Aber Gretta hat eben Ahnung.
    Sie hätte auch Krankenschwester werden können. Sie wäre eine gute Krankenschwester gewesen. Doch leider Gottes hatte sie nie die Möglichkeit dazu.
    Die Arme sind leicht wie trockene Zweige. Gretta stützt den Rücken der Person und schüttelt das Kissen auf. Der süßlich modrige Geruch, der ihr entgegenschlägt, kommt ihr bekannt vor, sie weiß aber nicht, woher. Sie legt den Mann wieder hin, und alles sieht schon viel ordentlicher aus.
    »So ist es sicher besser«, sagt Gretta.
    Sie setzt sich auf den Stuhl. Wo ist Robert? Er muss hier gewesen sein, muss ebenfalls auf diesem Stuhl gesessen haben, aber wo ist er jetzt? Während sie auf dem hartleibigen Sitzmöbel herumrutscht, kommt ihr der Gedanke, dass er dieselben Dinge gesehen haben muss, die sie auch jetzt sieht. Das Loch in der Bettdecke, die toten Wespen auf dem Fensterbrett, die schiefe Wanduhr. Bildet sie sich das nur ein oder fühlt sich der Stuhl tatsächlich noch warm an? Komische Vorstellung, dass er vielleicht eben noch hier gesessen hat. Sie stellt die Fläschchen auf dem Nachttisch in eine Reihe, verwedelt eine Daune, füllt das Wasserglas nach und hält es ihm an den Mund.
    »Möchten Sie etwas trinken?«, fragt sie.
    Sie richtet den Strohhalm auf seine Lippen. Frankies Lippen sind spröde und aufgerissen. Armer Kerl. Sie schaut in sein Gesicht, nimmt es Detail für Detail in sich auf. Hier liegt der Mann, der im Hintergrund ihres Lebens immer da war. Da ist diese große blasse Narbe, die sich wie ein Falz über seine Stirn zieht und sich im Haaransatz verliert. Erschrocken wird sie gewahr, wie sehr er letztlich Robert ähnelt. Dieselbe markante Stirn, dasselbe dichte weiße Haar, dieselbe entschlossene Kinnpartie. Sie erschauert.
    »Sie müssen doch durstig sein«, sagt Gretta. »Trinken Sie doch etwas. Wenigstens ein Schlückchen.«
    Die Lippen öffnen sich, umschließen den Strohhalm. Gretta sieht, wie Flüssigkeit nach oben wandert. Doch selbst die ein, zwei Schlucke, die er ansaugen kann, kosten ihn allergrößte Anstrengung. Gretta stellt das Glas wieder hin.
    Frankie. Sie lässt diesen Namen wie eine Murmel durch ihren Kopf kullern. Das also ist Frankie, Francis Riordan. Verhaftet, weil er irgendwo war, wo ein Polizist erschossen wurde, wie der Priester sagte. Wie viele Jahre bekommt man dafür, und was stellen sie im Gefängnis mit einem an? Sie blickt auf die Narbe an der Stirn.
    Wo um Himmels willen bleibt Robert, fragt sich Gretta zunehmend gereizt. Er sollte doch hier sein, Frankie bleibt nicht mehr viel Zeit, das sieht doch jeder. Es ist schon traurig genug, wenn man am Ende seines Lebens niemanden hat, der da ist – außer einem Bruder, den man seit dreißig Jahren nicht gesehen hat. Wie ist es möglich, dass man bei so vielen Menschen auf der Welt trotzdem so allein sein kann?
    Sie streicht ihm ein paar Haarsträhnen aus der Stirn und zieht die Decke etwas höher. Sie ergreift seine dürren Finger.
    Trotzdem muss sie auch daran denken, was dieser Mann einst seinem Bruder angetan hat. Es ist beinahe nicht zu fassen, und sie möchte solche Gedanken am liebsten verbannen, weil er stirbt, und im Angesicht des Todes vergibt man einander, sonst kann er nicht in Frieden sterben. Sie will etwas sagen, weiß aber nicht, was. Es gibt eigentlich nichts zu sagen außer »Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade«. Die vertrauten Worte fallen in die Stille dieser Klosterzelle, doch allein sie auszusprechen ist ein Trost, ihr Rhythmus ein Halt. »Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Weibern.«
    Sie weiß noch, dass ihre Mutter immer großen Wert darauf legte, Frauen als »Damen« zu bezeichnen. Ein Gebot der Höflichkeit. Bitte achte auf die Dame, sagte sie etwa, wenn viele Leute auf dem Bürgersteig waren. Oder in einem Geschäft: »Gib der Dame das Geld.« Einmal hatte Gretta gefragt, warum es dann nicht hieß »Gebenedeit bist du unter den Damen«?
    Sie hatte ihrer Mutter ein Foto von sich und Robert geschickt, und ihre Mutter tat es in einen Bilderrahmen und stellte es aufs Fensterbrett. Das Fenster mit Aussicht auf den See und den Hühnerstall. Es war ein

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