Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
schönes Bild, das sie extra von einem Fotografen auf der Essex Road hatten anfertigen lassen. Das Kostüm hatte sie sich von einem der Mädels ausgeborgt, lila Tweed, Lila schmeichelte ihr immer. Eigens für den Fototermin hatte sie sich neue Handschuhe gekauft und eine Lilie ins Knopfloch gesteckt. Damals war sie ja noch schlank, vor allem um die Hüften rum, und ihre Hand in dem Glacéhandschuh lag auf Roberts Arm und sah aus wie eine weitere Lilie. Auch er natürlich im dunklen Anzug und mit Scheitel. Niemand konnte behaupten, dies sei kein Hochzeitsfoto. Obwohl sie es selbst nie so gesagt hatte. Geschrieben ja, aber gesagt nicht. Ihrer Mutter hatte sie geschrieben, sie sei nun verheiratet, und zum Beweis das Foto beigelegt.
»Heilige Maria, Mutter Gottes«, fährt sie fort, Frankies Hand haltend, »bitte für uns Sünder.«
Aber hatte sie das wirklich geschrieben oder nur das Foto geschickt? Sie konnte doch ihre Mutter nicht belügen. Nein, das hätte sie nie getan.
Im Grunde war es wie bei einer Baustelle in London. Wenn sie wieder mal die Straße aufreißen, liegt plötzlich auch alles so schockierend nackt zutage. Dass so dicht unter dem glatten Asphalt nur Sand und Schlamm sein sollen, an den Gedanken muss man sich erst einmal gewöhnen. Und dann schütten sie alles wieder zu und gießen frischen Teer darüber, der aber noch lange wie ein Fremdkörper wirkt. Erst nach einer Weile ist die ausgebesserte Stelle so staubig und abgenutzt wie der Rest der Straße, und kein Mensch käme auf die Idee, dass es jemals anders war.
Auf jeden Fall hatte er ihr einen Antrag gemacht, auf dem Oberdeck eines Busses auf der Rosebery Avenue. Er kniete sogar vor ihr nieder, worüber sie derart verblüfft war, dass sie im ersten Moment dachte, er habe etwas verloren, einen Manschettenknopf vielleicht oder einen Penny. Allerdings gab es keine Eheringe, sie hatten einfach das Geld nicht. Doch damals, so kurz nach dem Krieg, hatte ja niemand Geld. Also waren sie wenigstens verlobt, oder? Verlobt waren sie auf jeden Fall. Aber dann sagte er, sie könnten nicht heiraten. Nicht richtig jedenfalls und nicht gleich, denn vorher musste noch einiges geregelt werden. War es so gewesen? Gretta kann sich kaum noch daran erinnern. Doch er versicherte ihr eben auch, sie seien so gut wie verheiratet, oder? Hatte er ihr wirklich einen Antrag gemacht oder nur gesagt, sie könnten jetzt nicht heiraten, aber später, sobald es ginge. Sie dachte, es hätte mit seinen Kriegserlebnissen zu tun, alle diese entsetzlichen Dinge, die er gesehen hatte, deshalb drängte sie ihn auch nicht. Eben weil er nicht darüber sprechen wollte. Er habe jedoch schon die Anzahlung für ihr Haus geleistet, sagte er, ein hübsches Haus mit Garten. In dieses Haus zogen sie ein, und er schenkte ihr einen Hochzeitsring. Den wirst du brauchen, sagte er, Gretta erinnert sich genau. Er sagte tatsächlich: Den wirst du brauchen. Und sie hatte sich gefreut. Sie hatte sich gefreut, oder? Oder hatte sie in der Küche ihres neuen hübschen Häuschens nur geheult und den Ring in den Fingern gedreht? War sie das oder jemand anders? Das Problem war ja, sie war bereits schwanger und so verängstigt, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb. Nach Hause konnte sie nicht zurück, nicht in ihrem Zustand, ihre Mutter hätte die Schande nicht überlebt. Also musste sie sich den Ring an den Finger stecken und wohl oder übel bei diesem Mann bleiben. Beim ersten Versuch ging der Ring noch nicht über ihren Knöchel, und sie dachte schon, er passt nicht. Aber dann ging es doch, und so blieb es. Nur ein Foto, sagte sie, ein Foto wolle sie machen lassen, und er stimmte zu, was sie für ein gutes Zeichen hielt. Das Foto wurde sogar so gut, dass sie davon drei Abzüge bestellte. Einen schickte sie ihrer Mutter, einen wollte sie für sich, und einer war für Robert. Robert sagte, er würde das Bild seiner Familie in Sligo schicken. Mit dem Foto auf dem Kaminsims und dem Ring am Finger fühlte sie sich gleich viel besser. Von diesem Tag an stellte sie sich auch als Mrs Riordan vor. Ja, ich erwarte ein Kind, im Februar ist es so weit. Ja, es ist mein erstes. Nein, es ist mir gleich, ob es ein Junge wird oder ein Mädchen, solange es nur gesund ist. Sie besaß sogar die Dreistigkeit, dem Gemeindepfarrer zu erzählen, sie hätten in Liverpool geheiratet. Wirklich, hatte sie das getan? Und das vor einem Priester? Aber sie sagte sich: Was spielt das für eine Rolle, sie sind ja so gut wie verheiratet.
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