Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
über die Nierenschale gebeugt, ehe die Krankenschwester kam und sie ihr wegnahm.
Monica neigte sich über die Katze und wollte sie schütteln, vielleicht wachte sie davon wieder auf und streckte die Tatzen, nichts hätte sie sich mehr gewünscht. Außerdem war sie der Meinung gewesen, dass Sterben immer auch mit Kampf verbunden ist, dem Widerstreit zwischen zwei Zuständen. Doch wie es aussah, war es eher ein Hinübergleiten.
Aoife hatte keine Hemmungen gehabt, sich alles genau anzusehen, trotz Monicas Warnung: »Tu das nicht, Aoife. Das bringt Unglück.« Aoife hatte nicht auf sie gehört, natürlich nicht.
Monica stützte weiter den Kopf der toten Katze. Eine Hand lag unter dem Kiefer, der sich so fragil anfühlte wie ein Schlüsselbein, die andere streichelte die Katze hinter den Ohren, wo das Fell so unwirklich weich war wie eine Pusteblume.
Wie schnell Aoife dann erwachsen geworden war. An einem Tag, schien ihr, war sie noch ein Kind, und tags darauf eine erwachsene Frau, angetan mit weiten Hippie-Gewändern und einer Unmenge von Halsketten. So stand sie auch an Monicas Krankenbett und hörte nicht auf das, was ihr gesagt wurde: Aoife, guck nicht hin. Dabei fiel ihr das Haar ins Gesicht, sodass Monica nicht erkennen konnte, was für eine Miene ihre Schwester machte. Aber Aoife sah wohl sehr lange an, was da in der Nierenschale lag. Und dann sagte sie leise: Es starb, ehe es leben konnte. Worauf sich Monica im Bett aufsetzte, mit der Faust auf ihr Knie schlug und rief: Überhaupt nicht, das stimmt doch gar nicht. Denn es hatte doch gelebt, sie selbst hatte dieses Leben gespürt, viele Wochen lang. Die Anwesenheit eines anderen Lebens hatte man doch buchstäblich im Blut, man konnte es nicht ignorieren, ebenso wenig wie man die Schwindelgefühle am Morgen ignorieren konnte, die Übelkeit nach einer Zigarette, die Überempfindlichkeit auf bestimmte Gerüche wie Autoabgase oder Möbelpolitur. Es hatte gelebt, dieses Wesen, sagte sie zu ihrer Schwester. Aoife hob nur den Kopf und sagte, natürlich, du hast recht. Tut mir leid, Monica, tut mir echt leid.
Dieses Kind wäre heute knapp drei Jahre alt.
Aber darüber nachzudenken brachte nichts. Monica ließ die Katze los, drehte sich um, schnäuzte sich, zog ihre Handtasche höher auf die Schulter. Sie dankte dem Tierarzt und bezahlte die Rechnung am Empfang. Sie nahm den Karton, der sich außerordentlich leicht anfühlte. (War demnach die Seele das eigentlich Schwere an einer Katze?) Sie trat hinaus, sah links und rechts die Straße hinunter, ging zur Bushaltestelle.
Wieder zu Hause, riss sie überall die Fenster auf. Um Gottes willen, Luft! Aber es gab keinen frischen Luftzug, weder drinnen noch draußen, nur Hitze. Wie Rauch unter eine Tür, so kroch die Hitze durch den schmalsten Spalt. Monica knallte die Fenster wieder zu, benetzte Handgelenke und Schläfen mit Kölnisch Wasser und machte sich die Haare neu. Gretta und Aoife hatten dickes, widerspenstiges Haar, aber ihres war spinnwebfein und absolut glatt, ehedem hell, jetzt ein verwaschenes Mausbraun. Viel konnte man daraus nicht machen. Einmal waschen und legen pro Woche und nachts halt ein Haarnetz.
Dann ging sie ins Badezimmer und blickte ziellos hin und her. Zog ein Kleenex aus der Schachtel, drückte es an die Nase. Ihr Hals schmerzte, die Augen brannten. Hatte sie wieder Heuschnupfen? Sie warf das Papiertaschentuch ins Klo und zog am Reißverschluss ihres Kleids. Sie musste sich für Peter frischmachen, er kam bald nach Hause. Es war so wichtig, dass der eigene Ehemann nicht das Interesse verlor, das sagten alle.
Deshalb wollte sie jetzt ein Bad nehmen. Jawohl, ein Bad!
Die blöde Wasserverordnung konnte sie mal, sie brauchte jetzt ein Bad, unbedingt. Zum Teufel mit der Regierung und ihrer ewigen Rationierung von allem und jedem, sollten sie doch alle verrecken. Sie drückte den Stöpsel in den Ab fluss und drehte beide Hähne voll auf. Wasser schoss hervor, schäumte, zischte sprudelnd in die Wanne. Einen Moment lang war sie von diesem Anblick wie verhext. Aber dann hing der Reißverschluss fest, und Monica zerrte fluchend daran, bis sie hörte, wie etwas riss, doch auch das war ihr egal. Sie musste aus diesem Kleid raus, sie musste baden, sie musste gut aussehen und vor allem ruhig und gelassen sein, wenn sie ihn bitten würde, die Verantwortung für die eingeschläferte Katze auf seine Kappe zu nehmen. Er musste einsehen, dass sie den Mädchen keine andere Geschichte vorsetzen konnte als eben
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