Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
volle Miete am Hals für eine Wohnung, die so entsetzlich leer war, nicht zu vergessen das mit Aoife. Monica dachte nicht gern an die Zeit zurück. Am be sagten Morgen trug sie die Smaragdkette, die sie von Joes Mutter zur Hochzeit bekommen hatte. Sie trug diese Kette nicht oft, doch Joe hatte alle ihre Ringe und den Schmuckanhänger, sein Geschenk zu ihrem Einundzwanzigsten, mitgehen lassen, vermutlich um alles zu verkaufen. Er war immer knapp bei Kasse gewesen.
Deshalb also hatte sie die Smaragdkette angelegt, was sie sonst eher selten tat. Sie war einfach zu verschnörkelt, zu altmodisch für ihren Geschmack. Aber sie passte gut zu dem grünen Gürtel ihres Rocks. Es geschah im Bus, der sie auf die Südseite der Themse brachte, und wie immer war der Bus völlig überfüllt. Sie stand auf der Plattform am Eingang, als ihr ein Mann plötzlich seinen Sitzplatz anbot. Bei solchen Gelegenheiten musste sie immer an Aoife denken. Als ihnen nämlich in der U-Bahn einmal ein Mann mittleren Alters seinen Platz angeboten hatte, kam sie Monica zuvor und sagte: »Danke, nicht nötig.« Monica hätte ihn nämlich genommen.
Auch an diesem Morgen verstieß sie gegen Aoifes Prinzip und nahm an. Sie hatte sich noch nicht ganz gesetzt, als der Mann sagte: »Was für eine wunderbare Halskette Sie da haben.«
Den Fahrschein in der Hand, drehte sie sich zu ihm hin. Auf den Griff der Rückenlehne gestützt, beugte sich der Mann über sie und blickte fachmännisch-fasziniert in ihren Ausschnitt. Mit einer solchen Aufmerksamkeit begutachtet zu werden war derart ungewöhnlich, dass sie auf die Frage, ob sie alten Filigranschmuck liebe, sagte: »O ja.« Sobald der Platz neben ihr frei wurde, setzte er sich zu ihr, redete lang und breit von Metallbearbeitung, Gold- und Silberschmiedekunst und dem venezianischen Einfluss. Und als er sie fragte, ob er das »Stück«, wie er es nannte, einmal anfassen dürfe, antwortete sie: »Natürlich.«
Sie sollte diese Halskette noch einmal ausgraben, dachte Monica beim Einseifen ihrer Schultern. Das Telefon klingelte abermals, nur nicht mehr so lange, und Monica drehte den Hahn auf, um Wasser nachlaufen zu lassen. Sie betrachtete ihren Körper. Für jemanden mit Mitte dreißig nicht schlecht, dachte sie. Sie besaß immer noch eine hübsche Taille, was längst nicht alle Frauen ihres Alters von sich behaupten konnten. Und schlank war sie geblieben, aber sie achtete ja auch auf ihre Ernährung. Sie hatte zum Beispiel für plötzliche Hungerattacken immer ein Stück Sellerie in der Küche. Trotzdem kannte auch sie das Gefühl, dass alles an ihr nach unten strebte, so, als hätte ihr Körper plötzlich die Schwerkraft entdeckt. Bei der letzten Begegnung mit Aoife – wie lange war das eigentlich her, drei oder vier Jahre? – fiel ihr auf, wie jung alles an Aoife noch war. Das straffe Gesicht, der faltenlose Hals, die kompakten Gliedmaßen, der feste Busen, noch keine schwabbeligen Oberarme. Der Anblick hatte Monica einen Schock versetzt, obwohl doch jeder sagte, sie und Aoife sähen sich so ähnlich. Aber das hatte Monica eigentlich noch nie gedacht. Als Kinder waren sie nämlich sehr verschieden gewesen, Aoife so dunkel und sie, Monica, so blond. Aber auch sie bemerkte die zunehmende Ähnlichkeit, die desto größer wurde, je älter sie wurden. Als teilten sie ein gemeinsames biologisches Schicksal. Auch wenn Monica in Aoife vor allem das Fremde sah, an jenem Tag in der Küche begegnete sie sich selber, nur zehn Jahre jünger.
Als Peter ihr bei ihrem zweiten Treffen von seinen Kindern erzählte – es war in einem düster vertäfelten Pub in Holborn mit Hirschtrophäen an der Wand –, ging ein Ruck durch sie, der nicht einmal ganz unangenehm war. Und es war das Natürlichste von der Welt, dass sie darauf ihr Glas absetzte, ihre Handtasche nahm und sagte, sie sei aber keine Frau, die sich mit verheirateten Männern einließ. Weil sie eben nicht so sei, deshalb. Vielmehr jemand, der nur mit netten Jungs ausging und diese später heiratete und dann in einer billigen Wohnung über einem Laden lebte, vorzugsweise glücklich bis an ihr Lebensende. So in etwa. Die Frage aller Fragen war jedoch, was so eine Frau tat, wenn ihr Schicksal (und zwar schon von klein auf) in eine ganz andere Richtung wies, man könnte auch sagen, wenn in ihrem Leben alles, wirklich alles ganz furchtbar schieflaufen sollte.
Natürlich sagte sie das nicht, damals in dem Pub in Holborn. Sie nahm zwar tatsächlich ihre Handtasche, um
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