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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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zu gehen, aber Peter legte ihr die Hand auf den Arm und sagte: »Ich verstehe.« Einfach so: »Ich verstehe.« Was so ziemlich das Netteste war, das man in dieser Situation überhaupt sagen konnte, und dann mit so viel Tiefgang und mit diesem durchdringenden Blick. Sie vergaß sofort, warum er es gesagt hatte, es war schlicht ein wunderschönes allgemeines Statement. Er verstand. Alles. Bis in den tiefsten Winkel ihrer Seele hinein verstand er sie. Es war, als würde eine große weiche Decke über sie gebreitet.
    Daraufhin setzte sie sich – natürlich – wieder hin und hörte zu, was er über sich und Jenny zu sagen hatte, dass sie nämlich gar nicht verheiratet waren und überhaupt der Meinung seien, kein Mensch sollte einem anderen gehören, und dass er, Peter, fand, sie hätten sich doch etwas auseinandergelebt. Erst als Monica nach den Kindern fragte, entspannten sich seine Züge zu einer Milde, die sie so noch nie gesehen hatte, obwohl er doch nur von seinen Kindern erzählte, Florence und Jessica, und wie er ihnen in der Eiche auf der Wiese das Baumhaus gebaut hatte. Wodurch Monica gleich auf die Idee kam, dass das Landleben vielleicht auch etwas für sie sei, mit rauschenden Blättern über ihr, dem grünen Gras unter ihr und einem Mann an ihrer Seite. In ihre Fantasie packte sie schon einen Picknickkorb mit Kuchen, Himbeersirup und Sandwiches, den die beiden Mädchen dann mit einer Seilwinde nach oben zogen. Und die Mädchen trugen Sandalen und kleine Hängekleidchen und hatten fröhliche offene Ge sichter. Als Peter ihr also vorschlug, sich von der Waterloo Bridge aus den Sonnenuntergang anzusehen, überlegte sie nicht lange und sagte: »Ja, gerne.«
    Dann schrubbte sie mit einem Bimsstein an ihren Fußsohlen. Furchtbar: Je älter man wurde, desto härter und rauer wurden die Füße. Die Hitze machte die Füße zusätzlich rissig, und die Schuhe kamen ihr ständig zu eng vor. Trotzdem, auf dem Anti-Aging-Sektor schlug sie sich gar nicht so schlecht. Die paar grauen Haare konnte sie sich auszupfen. Wenn es so weit war, würde sie sie färben. Noch immer hatte sie mehr oder weniger dieselbe Konfektionsgröße wie am Tag ihrer Hochzeit, welche Frau schaffte das? Natürlich ging sie damit nicht hausieren, aber mit einem älteren Ehemann erschien man vor der Welt ohnehin jünger – und vor sich selbst auch. Alter war relativ. Auch dass sie keine eigenen Kinder hatte, war mit Blick auf die Figur ganz klar ein Vorteil. Sie war nur ein paarmal in ihrem Leben in einem Schwimmbad gewesen, doch die Umkleideräume brachten auf faszinierend schreckliche Weise an den Tag, welche Verheerungen eine Schwangerschaft anrichten konnte. Die schlaffen Hautlappen am Bauch, die silbrigen Dehnungsstreifen, die sich bis zu den Zellulite-Schenkeln hinzogen, die erschöpften Brüste.
    Sie schüttelte sich, als sie aus dem Wasser stieg und warf die nassen Haarspitzen zurück. Nein, dieser ganze Kinderkram war nichts für sie, das wusste sie. Sie hatte es schon immer gewusst.
    Es war in dem Sommer, als sie neun wurde, als etwas mit ihrer Mutter geschah. Ihre Mutter war nämlich jemand, der unübersehbar, unüberhörbar Raum in Anspruch nahm. Ihre Mutter konnte nichts tun, ohne dass alle es mitkriegten, selbst Essen oder Atmen waren bei ihr mit Geräuschen verbunden. Sie konnte sich nicht die Schuhe zubinden, ohne mit sich selbst, der sie umgebenden Luft, dem Stuhl, auf dem sie saß, oder den Schuhen in eine längere Unterhaltung einzutreten. »Also ihr beiden, jetzt zeigt mal, was ihr könnt«, sagte sie etwa zu den braunen Schnürschuhen. »Aber wehe, ihr drückt wieder.«
    Man konnte also sagen, ihre Mutter machte sich ziemlich breit. Wenn Monica von der Schule nach Hause kam, wusste sie schon an der Tür, ob ihre Mutter da war oder nicht. Es lag an der Dichte der Luft, an der aufgeladenen Atmosphäre. War ihre Mutter nicht da, fühlte es sich an, als sei das ganze Haus außer Betrieb. Wie eine Bühne, ehe die Lichter angehen und die Schauspieler auftreten, unwirklich. Möbel, Vasen und Geschirr wirkten wie Requisiten und Tür und Wände wie billige Kulissen, die umkippten, wenn man sich dagegenlehnte.
    Rege Betriebsamkeit herrschte hingegen, wenn Gretta im Haus war. Dann dudelte das Radio, lief auf dem Platten spieler der Tenor mit dem Schmachttimbre, und Gretta war wieder einmal beim Aufräumen, das heißt, die Schränke zu leeren und deren Inhalt, Marmeladengläser, Tassen, Suppenterrinen und Kerzenstummel, gleichmäßig auf dem

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