Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Garten schweifen, eigentlich nur ein schmaler Rasenstreifen, eingeklemmt zwischen den Nachbarhäusern. Alles an Gras und Blumen ist hier vertrocknet und verkümmert, selbst der Pflaumenbaum lässt geschwächt die Blätter hängen.
»Ich weiß.«
»Ich meine, ich wusste ja, dass hier eine Dürre herrscht, aber dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht.« Sie drückt auf der Stufe ihre Zigarette aus. »Und diese Hitze, und es ist erst … Wie viel Uhr ist es eigentlich?«
Er schaut auf seine Armbanduhr. »Viertel nach acht.«
»Viertel nach acht«, wiederholt sie und blickt in den azurblauen Himmel. »Mannomann!«
Sie sitzen noch etwas länger an der Hintertür. Eine Biene summt vorbei, tänzelt ihnen vor der Nase herum, ehe sie sich anders besinnt und den Apfelbaum ansteuert.
»Wie siehst du denn die Sache?« Sie deutet mit dem Kopf nach hinten.
Er seufzt. Die Biene ist wieder da, fliegt aber weiter zur Hauswand, wo sie langsam nach oben steigt. »Keine Ahnung«, sagt er. »Frag mich was Leichteres.«
»Gut ist das jedenfalls nicht.«
»Gut ist das überhaupt nicht.«
»Glaubst du, er hat sich …«
»Was?«
»Du weißt schon.«
Ihre Blicke begegnen sich und weichen dann aus.
»Umgebracht meinst du?«
»Ich weiß nicht.« Aoife spielt mit ihrem silbernen Armkettchen, indem sie die Glieder durch ihre Finger laufen lässt. »Ich weiß sowieso nie, was ich von ihm denken soll. Ich meine, er ist ja als Mensch praktisch nicht …«
»Greifbar?«
»Genau. Glaubst du, er ist mit einer Frau durchgebrannt?«
»Du meinst mit einem Modepüppchen?« Der Ausdruck stammt von ihrer Mutter. »Glaube ich nicht.«
»Bist du sicher?«
»Kann ich mir nicht vorstellen.«
»Und wer wollte ihn schon haben?«, murmelt Aoife, macht ihre Zigarettenschachtel auf und sofort wieder zu. »Glaubst du, sie verschweigt uns etwas?«
Er sieht sie an. »Wie kommst du darauf?«
Achselzucken. »Du weißt doch, wie sie ist.«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, du kennst sie ja.« Abermals Achselzucken. »Sie sieht doch nur das, was sie sehen will …«
»… und blendet alles andere aus. Ach, was soll’s, gib mir auch eine«, sagt er, worauf sie ihm die Packung reicht. Er steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen und will sie soeben anzünden, als sie von oben unterbrochen werden.
»Was habt ihr beiden denn da unten zu tuscheln?«
»Scheiße.« Michael Francis nimmt die Zigarette aus dem Mund und blickt über die Schulter nach oben.
»Guter Gott«, flüstert Aoife. »Wie alt bist du, zwölf Jahre?«
»Klappe«, zischt er.
»Selber Klappe.«
»Nein, du hältst die Klappe.«
Aoife rempelt ihn seitlich an, und ihre Kraft ist erstaunlich. Es ist das einzig Schöne, das bisher an diesem Tag passiert ist.
»Was ist denn so komisch?« Gretta steckt erneut den Kopf aus dem Fenster.
»Nichts.«
»Ich komme jetzt runter«, sagt sie.
Aoife wendet sich wieder dem Garten zu. Sie hebt die Arme und streckt sich mit geschlossenen Augen, wobei sie ihren Kopf kreisen lässt.
»Was ist denn das? Machst du jetzt so einen Yogascheiß oder was?«
»Und wenn schon«, erwidert sie, die Augen immer noch geschlossen. Dann sieht sie ihn an. »Wie geht es Claire?«
»Gut«, sagt er und schnippt etwas von seiner Hose. »Und wie läuft’s in New York?«
»Auch gut.«
Gretta erscheint im dunklen Rechteck der Tür und hat etwas in der Hand, ein Verlängerungskabel, das ihr nachläuft wie ein Rattenschwanz.
»Braucht jemand einen durchgeschmorten Föhn?«
Die Iren bewähren sich vor allem in Krisenzeiten, bemerkt Michael Francis, als er die Frischhaltefolie von dem Tablett mit Sandwiches löst, das seine Tante Bridie auf den Küchen tisch gestellt hat. Zunächst einmal bringen sie Essen, vorzugsweise Stews oder Aufläufe, auch Tee gibt es immer. Die Iren wissen, wie man mit Katastrophen umgeht, nämlich im Flüsterton und immer mit ungläubigem Kopfschütteln. Ihr weicher Akzent ist wie gemacht für die Härten des Lebens.
Die Unterseite der Klarsichtfolie ist leicht beschlagen, die Sandwiches sind warm, die Ränder biegen sich bereits nach oben. Aber er will sich nicht beklagen und isst erst einmal drei. Das erste ist mit irgendeiner Art Leberwurst bestrichen, das dritte riecht verdächtig nach Fisch. Um den fischigen Geschmack loszuwerden, muss er aber noch ein viertes essen, und mit dem Essen kommt der Appetit, auf einmal kann er gar nicht mehr aufhören. Überhaupt gibt es nichts Besseres als die warmen Wurststullen seiner
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