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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Zumindest bis …«
    »Bis wir mehr Beweise haben.«
    »Und woher sollen wir die kriegen?«, fragt Aoife.
    Monica glättet sich den Rock. »Genau so, wie ich diese hier bekommen habe.« Sie deutet auf die Scheckbelege. »Wir durchsuchen das ganze Haus«, erklärt sie mit der Stimme der strengen Schwester und holt ein Stück Papier aus der Tasche. »Ich habe schon einmal eine Liste erstellt.«
    »Was für eine Liste?«
    Erwartungsgemäß geht Monica nicht darauf ein. »Okay, den Schreibtisch hätten wir. Als Nächstes kommt sein Kleiderschrank dran. Du, Michael Francis, nimmst dir den Dach boden vor. Und für dich, Aoife, habe ich auch etwas: die Regale im Schuppen.«
    Michael Francis kratzt sich den Stoppelbart. Die erste Belohnung, die er sich in den Sommerferien gönnt: sich einmal nicht rasieren zu müssen. »Was verstehst du unter vornehmen?«
    »Ich weiß, es ist nicht einfach«, fährt Monica fort. »Vor allem, wenn Mum überall herumschleicht. Aber du schaffst das schon.«
    »Also ich weiß nicht«, sagt er. »Wenn wir nicht einmal wissen, wonach wir eigentlich suchen.«
    »Alles. Erst einmal alles«, sagt Monica und geht zum Schlafzimmerschrank. »Alles kann wichtig sein.« Sie reißt eine Schranktür auf und zieht eine Pappschachtel aus dem Fach. Darin befinden sich: ein hölzernes Huhn, eine Christbaumkugel und eine Eule aus einem Tannenzapfen.
    Genervt verfolgt Michael Francis diese Demonstration. Er guckt auf die Uhr. Aoife steht vom Bett auf, geht hinaus, bleibt auf dem Treppenabsatz stehen und kaut an ihren rissigen Nägeln. Schnapsidee, denkt sie. So etwas Dämliches hat sie ja noch nie gehört. Was soll denn dabei herauskommen? Außerdem braucht Monica nicht zu denken, dass jetzt alles wieder gut ist. Abgesehen davon, dass ich todmüde bin.
    Dann steht sie auf einmal im Schlafzimmer ihrer Eltern. Das Bett ist verführerisch. Sich einmal flachlegen, das wäre es. Sie legt sich auf das Bett, mit dem Kopf zum Fenster. Sie will keineswegs schlafen, sondern sich nur kurz ausruhen. Nur ganz kurz. Sie saugt den Elterngeruch ein, eine Mischung aus Talkumpuder, Hustenbonbons, Mottenpulver, Pomade, Schuhleder. Sie starrt auf die blasslila bestickte Tagesdecke, die sich bis zum Horizont erstreckt, ehe alles vor ihren Au gen verschwimmt.
    Als Aoife erwacht, kann sie erst einmal mit den weißen Gardinen nichts anfangen. Auch das Licht vom Flur kommt durch eine Tür, die normalerweise woanders ist. Dann fährt sie hoch, stützt sich auf den Ellbogen und ist erstaunt, dass sie sich im Schlafzimmer ihrer Eltern in der Gillerton Road befindet.
    Sie fühlt sich furchtbar, sie ist benommen und ausgedörrt, ihr ist übel, und ihr ist vor allem heiß. Sie strampelt sich aus der kratzigen Decke.
    Irgendwer hat sie, während sie schlief, damit zugedeckt. Mit einer Wolldecke! Wo draußen doch nur schlappe dreißig Grad herrschen. Wer macht so einen Schwachsinn?
    Wie zur Antwort ertönt hinter der Wand das grunzende Schnarchen ihrer Mutter.
    Wütend tritt sie die Decke, bis diese wie eine abgestreifte Hülle auf dem Boden liegt, und spürt die nächste Welle der Übelkeit herannahen. Unter ihr schaukelt das Bett wie ein Boot auf hoher See, und sie ist überzeugt, dass sie sich jeden Moment erbrechen muss, gleich hier, an Ort und Stelle im Bett ihrer Eltern. Sie überlegt noch, wie so etwas am ordentlichsten zu bewerkstelligen sei, da ist die Übelkeit auch schon vorbei. Sie bettet den Kopf wieder auf die beunruhigend vertraute Tagesdecke mit dem blasslila Stickmuster. Das Muster weckt Erinnerungen an all die Weihnachtsstrümpfe, die sie auf dieser Decke ausgeleert hat. Was hatte es da nicht alles gegeben? Ein Netz mit Schokoladenmünzen, ein Jo-Jo, eine Klammerpuppe und ganz unten im dicken Zeh eine Orange. Ihr Vater entfloh der Situation in der Regel, indem er sich schlafend stellte, doch ihre Mutter bekam sich gar nicht mehr ein mit ihren Ahs und Ohs und Jetzt-sieh-dir-das-an.
    Sie hat keine Ahnung, wie viel Uhr es ist. Den grausilbern schimmernden Gardinen und den nervigen Tonfolgen der Vögel nach zu urteilen, wird es draußen langsam hell, aber Aoife mag das nicht glauben. Ihr ist, als habe sie höchstens zehn Minuten lang geschlafen und nicht zwölf Stunden.
    Die Leuchtzeiger des väterlichen Weckers sagen zwanzig nach vier. Das bedeutet zwanzig nach elf am Abend in New York, wo es noch gestern ist. Ist Gabe noch wach?
    Aoife setzt sich auf, wieder überkommt sie dieses Kotzgefühl. Sie schaut unter dem Bett nach den

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