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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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am Himmel einnahm und allmählich jeden Winkel ausleuchtete, es ist also keine unchristliche Zeit. Und stehen Leute mit Kindern nicht ohnehin früher auf?
    Noch ehe der löwenhäuptige Klopfer zum Einsatz kommen kann, geht die Tür auf, und Monica steht vor ihr und hält sich den Morgenmantel zu.
    Aoife ist derart überrascht, dass sie beinahe noch einmal auf die Hausnummer geguckt hätte, nur um sicherzugehen, dass sie vor dem richtigen Haus steht. Oder wohnt Monica jetzt hier, und es hat ihr bloß niemand etwas gesagt?
    Stattdessen sagt sie: »Du hier?«
    »Ja, ich.«
    »Was tust du hier?«
    »Dasselbe könnte ich dich fragen.« Monica seufzt. »Weißt du, wie spät es ist?«
    »Kurz vor acht.«
    Monica schiebt den Unterarm aus dem Morgenmantel. »Sieben«, sagt sie. »Viertel vor sieben.«
    »Oh.« Aoife schaut auf ihre Uhr, die eindeutig acht anzeigt. »Vielleicht habe ich nach der Landung die Uhrzeit falsch eingestellt.«
    Monica dreht sich auf der nackten Ferse um und verschwindet im Haus. Aoife folgt ihr zögernd.
    Monica ist in der Küche und drückt den Deckel auf den Wasserkessel. »Wo ist Mum?«, fragt sie, ohne sich umzudrehen.
    Aoife setzt sich an den Küchentisch und schiebt einen Kricketschläger, ein Katzenhalsband, einen Comic und eine Puppentasse beiseite. »Am Schlafen«, antwortet sie so knapp, wie es sonst nur Monica tut. Was du kannst, denkt sie, kann ich schon lange. Und: Du schuldest mir eine Entschuldigung – und nicht nur eine. So einfach kommst du mir nicht davon. Gereizt greift sie nach einem unidentifizierbaren orangefarbenen Plastikteil und dreht es in der Hand.
    Michael Francis schlurft in die Küche. Er trägt nur ein T-Shirt und eine kurze Hose, die er sich schnell übergeworfen hat. »Herrgott«, gähnt er in Richtung Aoife, »was soll der Terror so früh am Morgen?«
    Aoife nickt: »Tut mir leid.«
    »Hast du keine Uhr?«
    »Doch, aber sie ging falsch.«
    Monica nimmt den Wasserkessel vom Herd. »Sie ging falsch, weil sie sie falsch gestellt hat«, ergänzt Monica.
    In Monicas Ton klingt Aoifes ganze Kindheit nach. Aoife war immer die Blöde, der Trottel der Familie. Das Mädchen, das nicht rechts von links unterscheiden, das weder lesen noch schreiben noch mit Messer und Gabel essen konnte. Sie war nicht einmal in der Lage, sich die Schuhe zuzubinden.
    »Tut mir leid, ich hab mich vertan«, sagt sie und umklammert das Plastikteil, das offenbar zu einem größeren Spielzeug (Spielzeugauto?) gehört. »Ich hatte gerade einen achtstündigen Nachtflug hinter mir und habe die Uhrzeit falsch eingestellt, das ist alles. Deswegen bin ich aber noch lange kein Idiot. Ich habe mich entschuldigt. Was soll ich also noch tun?«
    Bruder und Schwester starren sie an wie jemanden, den sie nicht einordnen können, und wenden sich wieder von ihr ab. Monica verfügt sich wieder an den Wasserkessel, Michael Francis holt Teebecher aus dem Schrank, aber alle beide lassen sie mit ihrer Verärgerung allein.
    Aoife ist versucht, Sachen an die Wand zu schmeißen. Keine vierundzwanzig Stunden im Kreise dieser Familie, und man fühlt sich wieder wie ein pubertierender Teenager. Wird diese erzwungene Regression eigentlich immer schlimmer? Soll sie mit jedem Tag kleiner werden?
    »Jetzt hört mal zu«, sagt sie so sachlich, wie es ihr möglich ist. »Was ich euch sagen wollte: Jemand hat Dad in Irland gesehen.«
    »Jemand?«, fragt Monica und dreht sich um. »Geht’s nicht ein bisschen genauer?«
    »Mary. Und Declan. Keine Ahnung, wer das sein soll.«
    »Mary und Declan?« Eine Cornflakes-Schachtel in der Hand versucht Michael Francis, diese Namen irgendwo unterzubringen.
    »Marys Mann heißt Dermot«, sagt Monica, »nicht Declan. Er ist ein Vetter von Mum, väterlicherseits. Wohnen irgendwo hinter Derrylea.«
    Aoife und Michael Francis sehen sich an.
    »Wie auch immer«, sagt Aoife und bricht den Augenkontakt ab. »Sie riefen jedenfalls in aller Herrgottsfrühe an und meinten, jemand habe Dad in der Nähe von Roundstone gesehen, irgend so ein Kaff. Kam angeblich aus einem Kloster, so unglaublich es klingt. Derjenige, der ihn gesehen hat, ist wiederum der Vetter eines Vetters. Dad hat sich kurz mit ihm unterhalten und ist dann weitergegangen.«
    »Das ergibt ja überhaupt keinen Sinn«, erklärt Monica mit unergründlicher Miene. »Also wirklich!«, sagt sie und fasst sich an den Hals. »Was wollte er denn da? Und in einem Kloster? Vor allem: Warum konnte er uns das nicht selber sagen?«
    »Wo ist Mum?«, will

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