Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
drei.«
»Dazu sage ich nichts«, sagt er und lacht.
»Na gut. Dann musst du mir eben so glauben. Denn ich sage dir: Sex ist der große Entscheider, sogar der einzige Entscheider. Und beim ersten Mal weiß man noch gar nichts. Das erste Mal ist nichts weiter als ein kleines Räuspern, mehr nicht.«
»Und mit wie vielen hast du geschlafen?«
»Sag ich dir nicht.«
»Mach schon.,«
»Nein.«
»Und wenn ich dich bitte?«
»Nein. Aber du wärst geschockt. Ihr seid eben doch eine andere Generation.«
»Nur die Größenordnung. Mit mehr als fünf?«
»Ach Gott.«
»Mehr als fünf? Zehn? Mehr als zehn?«
»Lass stecken, so läuft das bei mir nicht. Erzähl mir lieber von Claires neuen Freunden.«
»Mehr als zwanzig?«
Monica steht auf dem oberen Treppenabsatz mit gestrecktem Bein, dreht den Fuß hin und her und bemerkt dabei, dass der Schuh bereits den ersten Kratzer abgekriegt hat. Den muss sie noch heute wegpolieren, solche Schäden behebt man am besten am selben Tag. Die Frage ist nur: Hat ihre Mutter burgunderrote Schuhcreme. Monica bezweifelt das stark.
Hinter der Tür jenes Zimmers, das erst ihr gehörte, dann Aoife und ihr gemeinsam, hört sie die Geschwister reden. Mehr als zehn, fragt Michael Francis, mehr als zwanzig. Worauf Aoife nur lacht. Aber wie kann man in dieser Situation lachen? Überhaupt, was meint er mit mehr als zwanzig? Darf ich mitlachen?
Abermals ist sie kurz davor, in Tränen auszubrechen. Doch sie wirft entschlossen den Kopf zurück und sieht: die Deckenlampe. Eine Halbkugel aus Strukturglas. Venezianisches Glas, behauptete ihre Mutter, doch Monica kann sich das nicht vorstellen. Die Lampe datiert aus einer Zeit, als die Trödelläden an der Holloway Road Grettas großes Hobby waren. Jede Woche kam sie mit einer Neuerwerbung. Sie erinnert sich an das Bild aus Muscheln, den Aschenbecher in Form der Isle of Man, den Elefantenfuß als Schirmständer. Ganz bezaubernd nannte sie ihre Einkäufe – und ein echtes Schnäppchen. Wer’s glaubt! Die Ladenbesitzer rieben sich vermutlich die Hände, wenn Gretta anrückte. Nicht nur weil ihre Mutter grundsätzlich alles glaubte, was ihr erzählt wurde, sie hing auch der idiotischen Ansicht an, dieser zwanghaft erstandene Ramsch könne ihr Leben verändern. Nur noch diese Kleinigkeit, das war es, was ihr zum Glück fehlte. Das glaubte sie wirklich.
Doch für heute hat sie genug, sagt sich Monica. Ein grauenvoller Tag, und er liegt ihr noch gänzlich unverdaut im Magen. Erst das Katzenbegräbnis, dann die Fahrt nach London – der Bus ging noch, aber die Bahn war ein rollender Hitzekoller. Schließlich die Begegnung mit Joe samt Baby, der Anruf in Gloucestershire, die Durchsuchung des Schreibtisches. Und um das Maß vollzumachen Aoife, die frech das Unschuldslamm spielt. Behauptet einfach, sie sei es nicht gewesen. Warum kann nicht alles schon vorbei sein? Sie würde diesen Tag am liebsten ausradieren, zur Haustür hinausmarschieren und nie mehr wiederkommen.
Aber doch nicht mehr als dreißig, sagt Michael hinter der geschlossenen Tür, jetzt verarschst du mich. Aber Aoife lacht einfach weiter und sagt: Kein Kommentar.
Da macht Monica einfach die Tür auf, und das Lachen verstummt, wie verschluckt von einem riesigen Schweigen, ganz so, wie von Monica erwartet. Das ist der Nachteil, sagt sie sich, wenn man immer der Liebling war. Die anderen mögen sie nicht, betrachten sie als Spion der Eltern. Sie ist gelitten, das schon, wird aber niemals einbezogen.
Wie geht es von hier aus weiter? Monica überdenkt ihre Möglichkeiten. Michael Francis hat sich aufgerichtet, er bringt seine Haare in Ordnung und wirkt wie das personifizierte schlechte Gewissen. Zumindest weiß er, dass man an solch einem Tag nicht herumalbert. Aoife hingegen schleudert ihr nur einen hasserfüllten Blick zu, nimmt sich eine Zigarette aus der Packung und platziert ein Buch auf ihrem Schoss. Es ist der geklaute Kunstband aus der Bücherei, wie sie sieht.
Soll sie versuchen, sich in ihr Gespräch zu mischen, etwa indem sie fragt: Wovon redet ihr eigentlich? Wie viele was? Oder soll sie sie mit den Scheckbuchbelegen konfrontieren, ihnen Vorhaltungen machen, weil ihnen offenbar der Ernst der Lage nicht klar ist?
Unbesehen entscheidet sie sich für das Zweite und herrscht sie an: »Sagt mal, was macht ihr hier eigentlich? Ich war unten und habe Dads Schreibtisch durchsucht, ihr hättet mir gut helfen können. Stattdessen erwische ich euch hier beim Quatschen. Immer bleibt alles
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