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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Hand gelangt ist.
    Doch ihren Kindern wird sie gar nichts erzählen. Die Geschichte ist nicht nur viel zu lang, sondern auch schon ewig her. Es bringt gar nichts, diese alten Sachen wieder aufzuwärmen, sie würden sie ja ohnehin nicht verstehen. Nein, sie müssen das alles nicht wissen. Und sie selbst kennt die Geschichte ja nur, weil der lange Arm der katholischen Kirche zuweilen die absonderlichsten Zufälle herbeiführt.
    Der Priester hatte die Teetasse in der einen und ein Sand wich in der anderen Hand, und er sah sie an und sagte, er kenne da zwei Riordan-Brüder in Liverpool, ob es vielleicht Verwandte von Gretta seien?
    Und das ist genau das, was ihre Kinder nie verstehen werden, diese ungeheure Macht der allwissenden Kirche. Keines ihrer Kinder geht noch zur Kirche, weder Michael Francis noch Monica. Dort in Gloucestershire, wo England am englischsten ist, hat sie wahrscheinlich nicht einmal eine katholische Kirche in ihrer Nähe. Das ist in New York anders, natürlich, aber sie wettet ihren letzten Penny, dass Aoife noch nie den Weg in eine davon gefunden hat. Eine Schande.
    Soll da ein Mutterherz nicht brechen?
    Wenn sie noch in die Kirche gingen, ja, dann vielleicht würde sie ihnen alles sagen. Das sagt sie aber nur zu sich selbst. Oder wenn wenigstens einer in die Kirche ginge, nur ab und zu, dann, ja, dann gäbe es sicher einen Weg, es ihnen zu sagen. Aber so? Nein, so nicht. So nicht.
    Wenn sie dem Priester wenigstens nicht ihren Nachnamen genannt hätte, wenn sie ihn einfach für sich behalten hätte, auch dann wäre es nie herausgekommen. Sie hätte es nie erfahren und hätte einfach weitermachen können wie zuvor.
    Sie mustert ihre Kinder. Monica, die mit verschränkten Armen auf der Sofakante sitzt, immer so beherrscht, so adrett. Neben ihr Michael Francis, der schlapp in den Seilen hängt und aussieht, als wäre er überall lieber als hier. Und dann Aoife am Ende des Sofas, die die Beine angezogen hat, eine kompakte Kugel aus Wut und Anspannung. Zumindest sie wird sich nie mit der halben Wahrheit zufriedengeben, sie will die ganze Geschichte hören, will wissen, was passiert ist. Das war schon immer so und wird immer so sein.
    Claire kommt und reicht ihr ein beschlagenes Glas Wasser. Sie hätte es wenigstens vorher abwischen können, aber nein. Und jetzt tuschelt sie auch noch mit Michael Francis, aber Gretta hört alles. Sie will wissen, wie Robert in einem Kloster sein kann, Männer seien da doch gar nicht zugelassen. Worauf Michael Francis ihr im Flüsterton mitteilt, dass die Serviten kein streng abgeschlossener kontemplativer Orden seien, sondern einer, der den Dienst am Menschen in den Mittelpunkt stelle. Da sieht man mal wieder, denkt Gretta, was man davon hat, wenn man eine Lutherische heiratet. Keine Ahnung von gar nichts.
    Gretta selbst ist indes nur durch einen Zufall in den Besitz des Wissens gelangt. Aktiv nachgeforscht hat sie nie. Sie war mit ihrer Schwester nach Galway gefahren, um einen Priester aus Boston zu hören. Es war ein ziemlicher Aufwand, so früh aufzustehen, um mit zehn, zwölf anderen den Bus aus Clifden zu kriegen, doch nur so kamen sie pünktlich zu dieser speziellen Messe, die der Gast aus Amerika mit ihnen feiern wollte. Aoife war noch ein Baby, deshalb hatte sie Gretta einfach mitgenommen. Ihre Mutter blieb zu Hause und gab auf Michael Francis und Monica Acht. Natürlich schrie Aoife wie am Spieß, sie schrie den ganzen Bus zusammen, aber es gab viele Christenmenschen, die es mal mit ihr versuchen wollten, während draußen die Landschaft vorbeigondelte.
    Nach der Messe wurden Tee und Schnittchen gereicht, und irgendwann wurde Gretta dem Gast aus Amerika vorgestellt. Er hieß Father Flaherty und kam seinem Dialekt nach aus Wexford. Er legte Aoife die Hand auf, und Gretta richtete ein schnelles Dankgebet an den Himmel, dass Aoife ausnahmsweise schlief. Als der Father aber ihren Namen vernahm und auch, dass sie in England wohnte, sah er sie an und meinte, er kenne da eine Familie in Liverpool, ebenfalls Riordans. Genauer gesagt zwei Brüder und ob sie vielleicht verwandt seien.
    Ihre Schwägerin und alle ihre Bekannten standen in diesem Moment am anderen Ende des Raums. Gretta befand sich unter lauter Fremden, und irgendetwas im Gesicht des Priesters sorgte dann dafür, dass sie seine Vermutung erst einmal nicht bestätigte. »Nein, nicht verwandt«, sagte sie.
    Es sei nämlich eine höchst tragische Geschichte, sagte der Priester, mehr noch, ein Lehrstück über

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