Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer, als ich schön wurde

Der Sommer, als ich schön wurde

Titel: Der Sommer, als ich schön wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
Vom Netzwerk:
wäre, als würde man einen Teil von sich selbst wegwerfen.
    Steven machte geradeso weiter wie früher: Er ignorierte Taylor und redete ständig von Claire Cho. Wir taten so, als wäre nichts passiert. Nur war es das eben doch.

29
    Ich hörte, wie er nach Hause kam. Das ganze Haus musste ihn gehört haben, mal abgesehen von Jeremiah, der sogar eine Sturmflut verschlafen konnte. Conrad stolperte fluchend die Treppe hoch, machte die Zimmertür hinter sich zu und drehte seine Anlage voll auf. Um drei Uhr früh.
    Etwa drei Sekunden lang blieb ich im Bett liegen, dann sprang ich auf und rannte über den Flur zu seinem Zimmer. Ich klopfte, klopfte noch einmal, aber die Musik war so laut, dass er vermutlich gar nichts hörte. Ich öffnete die Tür. Conrad saß auf der Bettkante und war gerade dabei, sich die Schuhe auszuziehen. Er blickte auf und sah mich in der Tür stehen. »Hat deine Mom dir nicht beigebracht, dass man anklopft?« Er stand auf und stellte die Anlage leiser.
    »Hab ich ja, aber deine Musik war so laut, dass du nichts gehört hast. Du musst das ganze Haus aufgeweckt haben, Conrad.« Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir. Es war lange her, seit ich zuletzt in seinem Zimmer gewesen war, aber es war noch genau wie in meiner Erinnerung – perfekt aufgeräumt. Jeremiahs Zimmer sah immer aus, als wäre gerade ein Hurrikan durchgefegt, aber Conrads war das krasse Gegenteil. Bei ihm hatte jedes Teil seinen festen Platz. Seine Bleistiftzeichnungen hingen noch immer an der Pinnwand, seine Modellautos waren auf der Kommode aufgereiht. Tröstlich, dass sich wenigstens in dieser Hinsicht nichts geändert hatte.
    Seine Haare standen wild ab, so als wäre ihm jemand mit den Händen hindurchgefahren. Wahrscheinlich die Red-Sox-Tussi. »Hast du vor, mich anzuschwärzen, Belly? Immer noch die alte Petze?«
    Ich beachtete ihn gar nicht, sondern ging zu seinem Schreibtisch hinüber. An der Wand darüber hing ein gerahmtes Foto, das ihn in seinem Footballtrikot zeigte, den Ball unterm Arm. »Wieso hast du eigentlich aufgehört?«
    »Es hat keinen Spaß mehr gemacht.«
    »Ich dachte immer, du wärst total begeistert.«
    »Nein. Das war mein Dad«, sagte er.
    »Mir kam es immer so vor, als hättest du’s auch toll gefunden.« Für das Foto hatte er eine möglichst coole Miene aufgesetzt, aber ich sah das Grinsen dahinter, das er sich verkneifen musste.
    »Wieso hast du mit dem Tanzen aufgehört?«
    Ich drehte mich um und sah ihn an. Er knöpfte sein Hemd auf, das er zur Arbeit trug, ein weißes Oberhemd. Darunter trug er ein T-Shirt.
    »Das weißt du noch?«
    »Früher bist du wie so ein kleiner Gnom durchs ganze Haus getanzt.«
    Ich sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Gnome tanzen nicht. Ich war eine Ballerina, nur dass du’s weißt.«
    Er grinste breit. »Wieso hast du dann aufgehört?«
    Das war ungefähr zu der Zeit gewesen, als meine Eltern sich scheiden ließen. Meine Mom konnte mich nicht ganz allein zweimal die Woche hinbringen und abholen, sie arbeitete ja. Jedenfalls schien es den Aufwand nicht wert. Damals fand ich es sowieso eher langweilig, und Taylor ging auch nicht mehr hin. Außerdem fand ich mich furchtbar in meinem Trikot. Vor allen anderen hatte ich einen Busen bekommen, und auf unserem Gruppenfoto hätte man mich für die Lehrerin halten können. Peinlich!
    Ich beantwortete seine Frage nicht. Stattdessen sagte ich: »Ich war wirklich gut! Ich könnte inzwischen in einem richtigen Ensemble tanzen!« Natürlich stimmte das nicht, so gut war ich nie gewesen. Nur mit sehr viel Phantasie hätte ich mir das einbilden können.
    »Klar«, sagte er spöttisch. Er sah so selbstzufrieden aus, wie er da auf seinem Bett hockte.
    »Wenigstens kann ich tanzen.«
    »Hey – tanzen kann ich auch«, protestierte er.
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Das musst du mir erst mal beweisen.«
    »Muss ich nicht. Ich hab dir doch selber Schritte beigebracht, weißt du das nicht mehr? Wie schnell man doch vergessen kann.« Er sprang vom Bett, nahm meine Hand und wirbelte mich herum. »Siehst du? Wir tanzen.«
    Lachend hielt er meine Taille umfasst, dann ließ er mich los. »Ich glaube, ich bin ein besserer Tänzer als du, Belly«, sagte er und ließ sich aufs Bett fallen.
    Ich starrte ihn an. Ich begriff überhaupt nichts. Eben noch war er grüblerisch und in sich gekehrt, und im nächsten Moment konnte er lachen und mich durchs Zimmer wirbeln. »Das ist für mich nicht tanzen«, sagte ich und ging

Weitere Kostenlose Bücher