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Der Sommer, als ich schön wurde

Der Sommer, als ich schön wurde

Titel: Der Sommer, als ich schön wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
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wie an jedem letzten Abend. »Belly bekam immer Resteessen, stimmt’s, Bean?«
    »Stimmt«, gab ich ihr recht. »Ich war ein armes, vernachlässigtes Kind, das nur altes Essen bekam, das sonst niemand wollte.«
    Meine Mutter unterdrückte ein Schmunzeln und schob mir die Schüssel mit dem Kartoffelsalat hin.
    »Ich habe die beiden wirklich verwöhnt«, sagte Susannah. Sie berührte Conrad an der Schulter und strich Jeremiah übers Gesicht. »Warum auch nicht – wo sie doch solche Engel sind?«
    Die Jungen warfen einander über den Tisch einen kurzen Blick zu. Dann sagte Conrad. »Ich bin tatsächlich ein richtiger Engel. Jere würde man wohl eher zu den Posaunenengeln zählen.« Mit einer Hand zerzauste er seinem Bruder die Haare.
    Jeremiah schlug ihm auf die Hand. »Der ist doch kein Engel. Der ist der Teufel in Person.« Es war, als wäre der Kampf zwischen den beiden wie ausgelöscht. So war das bei Jungen: Sie prügelten sich, und damit war die Sache ausgestanden.
    Meine Mutter hob Conrads Rippchen mit der Gabel hoch, besah es sich und legte es wieder weg. »Das kann ich unmöglich essen.«
    »So ein bisschen Schimmel bringt dich doch nicht um«, erklärte Susannah lachend. Sie strich sich die Haare aus der Stirn. Dann reckte sie ihre Gabel hoch. »Aber was anderes – wisst ihr was?«
    Alle starrten wir sie an.
    »Krebs«, sagte sie triumphierend. Ihr Pokerface war unübertroffen. Vier Sekunden lang hielt sie es, dann fing sie an zu kichern und konnte gar nicht mehr aufhören. Sie zerzauste Conrad so lange das Haar, bis er schließlich lächelte. Ich sah ihm an, dass ihm nicht danach war, aber er tat es doch. Für sie.
    »Passt auf«, sagte sie. »Ich sag euch, wie es weitergeht. Ich gehe zur Akupunktur, ich nehme meine Medizin, ich kämpfe weiter, so gut ich kann. Mehr kann ich in diesem Stadium nicht tun, sagt mein Arzt. Ich weigere mich einfach, noch mehr Gift in meinen Körper zu lassen oder noch mehr Zeit in Krankenhäusern zu verbringen. Hier möchte ich sein, sonst nirgends. Zusammen mit den Menschen, die mir am wichtigsten sind. Okay?« Sie sah uns der Reihe nach an.
    »Okay.« Alle sagten wir das, auch wenn es alles andere als okay war. Und nie sein würde.
    Susannah fuhr fort. »Wenn ich irgendwann ins Jenseits davontanze – falls ich das tue –, dann will ich nicht aussehen, als hätte ich mein ganzes Leben in Krankenzimmern verbracht. Wenigstens will ich schön braun sein. So braun wie Belly.« Sie zeigte mit der Gabel auf mich.
    »Beck, wenn du so braun gebrannt sein willst wie Belly, dann brauchst du mehr Zeit. So was schafft man nicht in einem Sommer. Mein Mädchen ist auch nicht so dunkel zur Welt gekommen, dafür braucht man Jahre. So weit bist du noch nicht«, sagte meine Mutter. Ganz ruhig sagte sie das. Als wäre das völlig logisch.
    Susannah war noch nicht so weit. Und wir auch nicht.
    Nach dem Essen machte sich jeder ans Packen. Das Haus war still, zu still. Ich blieb in meinem Zimmer, packte Kleider, Schuhe, Bücher zusammen. Irgendwann war es dann Zeit, auch die Badesachen in den Koffer zu legen. Aber so weit war ich noch nicht. Einmal wollte ich noch schwimmen gehen.
    Ich zog meinen Badeanzug an und schrieb zwei kurze Nachrichten, eine an Jeremiah, eine an Conrad. Jede lautete: »Mitternachtsschwimmen. In zehn Minuten.« Ich schob die beiden Zettel unter den Türen der beiden durch und rannte dann, so schnell ich konnte, die Treppe hinunter. Dabei wehte mein Handtuch wie eine Fahne hinter mir her. Ich konnte nicht zulassen, dass der Sommer so endete. Wir konnten das Haus unmöglich verlassen, ohne noch einen guten Moment zu haben, alle zusammen.
    Im Haus war es schon dunkel, und ich ging hinaus, ohne Licht zu machen. Das war auch nicht nötig, ich kannte alle Wege auswendig.
    Sobald ich draußen war, sprang ich in den Pool. Ein Sprung war das eigentlich nicht, eher ein Bauchklatscher. Der letzte für diesen Sommer, vielleicht der allerletzte überhaupt – jedenfalls hier. Der Mond schien hell, ganz weiß war er, und während ich auf die beiden wartete, ließ ich mich auf dem Rücken treiben, zählte die Sterne und lauschte dem Meer. Bei Ebbe hörte man nur ein Wispern, ein Gurgeln, wie ein Wiegenlied klang es. Ich wünschte, es würde immer so bleiben. Wie in einer dieser Schneekugeln. Ein kleiner eingefrorener Augenblick.
    Sie kamen zusammen raus, Becks Jungen. Vermutlich waren sie sich auf der Treppe begegnet. Beide hatten sie ihre Badehose an. Mir fiel auf, dass ich Conrad den

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