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Der Sommer, als ich schön wurde

Der Sommer, als ich schön wurde

Titel: Der Sommer, als ich schön wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
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ganzen Sommer über kein einziges Mal in Badehose gesehen hatte. Seit jenem ersten Tag waren wir nicht mehr zusammen in diesem Pool geschwommen. Mit Jeremiah war ich nur ein- oder zweimal im Meer schwimmen gewesen. Es war ein Sommer gewesen, in dem ich überhaupt wenig im Wasser gewesen war, nur manchmal mit Cam oder alleine. Der Gedanke, dass dies vielleicht unser letzter Sommer gewesen war und wir fast nie zusammen geschwommen waren, machte mich unsagbar traurig.
    »Hallo«, sagte ich. Ich trieb noch immer auf dem Rücken.
    Conrad tauchte einen Zeh ein. »Ziemlich kalt zum Schwimmen, oder?«
    »Feiges Huhn«, sagte ich und gackerte laut. »Spring einfach rein und bring’s hinter dich.«
    Die beiden sahen sich an. Dann nahm Jeremiah Anlauf und machte eine Arschbombe. Conrad kam direkt hinterher. Es spritzte zweimal gewaltig, und ich schluckte jede Menge Wasser, weil ich so breit gelächelt hatte, aber das war mir egal.
    Wir schwammen zusammen ins Tiefe, und ich trat Wasser, um mich oben zu halten. Conrad strich mir die Ponysträhnen aus dem Gesicht. Es war nur eine winzige Geste, aber Jeremiah sah es trotzdem. Er wandte sich ab und schwamm näher zum Beckenrand hinüber.
    Einen Moment lang war ich traurig, aber dann, ganz plötzlich, kam mir etwas in den Kopf. Eine Erinnerung, die in mein Herz gepresst war wie Blütenblätter zwischen die Seiten eines Buches. Ich hob die Arme über den Kopf, wirbelte im Kreis herum wie eine Wasserballerina und rezitierte dazu:
    Maggie and milly and molly and may
went down to the beach (to play one day)
and maggie discovered a shell that sang
so sweetly she couldn’t remember her troubles, and
milly befriended a stranded star
whose rays five languid fingers were –
    Jeremiah machte grinsend weiter:
    And molly was chased by a horrible thing
which raced sideways while blowing bubbles: and
may came home with a smooth round stone
as small as a world and as large as alone –
    Und zusammen mit Conrad sagten wir die letzten Zeilen:
    For whatever we lose (like a you or a me)
it’s always ourselves we find in the sea.
    Danach war es still zwischen uns, keiner von uns dreien sagte ein Wort.
    Vor langer, langer Zeit hatte Susannah uns dieses Gedicht von E. E. Cummings beigebracht, ihr Lieblingsgedicht, auf einem der Spaziergänge, auf denen sie uns durch die Natur führte, uns Muscheln und Quallen zeigte. An jenem Tag damals waren wir Arm in Arm den Strand entlanggelaufen und hatten dabei dieses Gedicht so laut aufgesagt, dass wir die Fische geweckt haben müssen. Wir wussten es ebenso auswendig wie den Treueid auf die Fahne der Vereinigten Staaten von Amerika, den jedes Kind in der Schule lernt. »Vielleicht war das jetzt unser letzter Sommer hier«, sagte ich auf einmal.
    »Kommt nicht in Frage«, sagte Jeremiah, der neben mir schwamm.
    »Im Herbst geht Conrad aufs College, und du hast dein Footballcamp«, erinnerte ich ihn. Auch wenn Conrads College und Jeremiahs zweiwöchiges Footballcamp im Grunde nichts damit zu tun hatten, ob wir nächsten Sommer wieder herkommen würden oder nicht. Was wir alle dachten, sagte ich nicht – dass Susannah krank war, dass sie vielleicht nie wieder gesund werden würde, dass sie das Band war, das uns alle zusammenhielt.
    Conrad schüttelte den Kopf. »Das ist völlig egal. Wir werden immer hierher zurückkommen.«
    Kurz fragte ich mich, ob er nur sich und Jeremiah damit meinte, doch dann sagte er: »Wir alle.«
    Es wurde wieder still, doch dann hatte ich eine Idee und klatschte in die Hände. »Los, wir machen einen Whirlpool.«
    »Kindskopf«, sagte Conrad kopfschüttelnd und lächelte mich an. Zum ersten Mal machte es mir nichts aus, dass er mich als Kind bezeichnete. Eher fühlte es sich wie ein Kompliment an.
    Ich ließ mich in die Mitte des Beckens treiben. »Kommt schon, Leute!«
    Die beiden schwammen zu mir herüber, und wir bildeten einen Kreis und rannten los, so schnell wir konnten. »Schneller!«, brüllte Jeremiah lachend.
    Dann hörten wir auf, entspannten unsere Muskeln und ließen uns von dem Strudel fangen, den wir selbst gemacht hatten. Ich legte den Kopf in den Nacken und ließ mich von der Strömung tragen.

46
    Als er anrief, habe ich seine Stimme erst gar nicht erkannt, teils, weil ich überhaupt nicht damit rechnete, teils, weil ich schon im Halbschlaf war. »Ich ruf aus dem Auto an, ich bin auf dem Weg zu euch. Kann ich dich sehen?«
    Es war halb eins nachts. Boston war fünfeinhalb Stunden entfernt. Er war den ganzen Abend

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