Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
einen Rebound holt.«
»Danke, aber ich glaube, das lassen wir lieber bleiben.«
Ich spürte das Star TAC in meiner hinteren Hosentasche, zeigte ihm meine Handfläche, wobei ich Mittel- und Ringfinger zum typischen Vulkaniergruß abspreizte.
»Lebe lang und erfolgreich!«, sagte ich und ging.
Mit dem Handy in der Hand drehte ich eine Runde durchs Dorf. Ich versuchte es beim Parkplatz, hinter der Kirche, auf dem Fußballplatz (auf dem Fußballplatz kletterte ich auf das einzige Tor, um weiter oben zu sein), doch ohne Erfolg. Ich bekam nirgendwo Empfang. Auf der Piazza traf ich Rosa, die Ladenbesitzerin. Ich fragte, wie es sein könne, dass es hier keinen Fleck, kein Eck, keinen Balkon gebe, an dem man Empfang habe. Sie fragte mich nach meinem Provider. Ich nannte ihn ihr. Diesen Provider empfange man hier tatsächlich nicht, erwiderte sie. Im ganzen Tal nicht, aber irgendwann einmal habe ihr jemand gesagt, dass er auf dem Monticello Empfang gehabt hätte. Der Monticello war ein Hügel, von dem aus man die ganze Ebene überblicken konnte. Sie erklärte mir, wie man dorthin gelangte. Vom Haus meines Großvaters brauchte man etwa eine halbe Stunde, vielleicht auch etwas länger.
Als ich heimkam, war es fast schon Zeit fürs Abendessen, und ich hatte keine Lust mehr, den Monticello zu erklimmen und mich dabei vielleicht noch zu verlaufen. Ich legte mich aufs Bett und zeichnete. Ich musste daran denken, dass kein Superheld für immer tot bleibt – mit Ausnahme von Onkel Ben, Peter Parkers Onkel. Als Bucky, Captain Americas Juniorpartner, beim Versuch, eine Flugzeugbombe zu entschärfen, in die Luft flog, hielten ihn alle für tot. Doch sein Körper war mit Ausnahme eines Arms vom sowjetischen U-Boot-Kommandanten General Karpow geborgen worden, und obwohl er sich an nichts mehr erinnern konnte, war er immerhin noch am Leben. Sogar Robin II Jason Todd war gestorben – sein Tod durch die Hand Jokers war mittels einer Telefonabstimmung beschlossen worden – und anschließend wieder aufgetaucht. Dasselbe galt für Gwen Stacey. Bruce Waynes Butler, Alfred, war in Folge 328 von Detective Comics gestorben. Anschließend hatte ihn ein verrückter Wissenschaftler als blasenübersäten Zombie wieder zum Leben erweckt – doch schon wenige Seiten später war der Zombieeffekt rückgängig gemacht. Ganz zu schweigen von X-Woman Jean Grey, genannt Phoenix, die beim Steuern eines Shuttles gestorben war, auf dem Mond Selbstmord begangen hatte und von Wolverine, Magneto, den Sentinel-Robotern, Havok und Thanos ermordet worden war. Und genau so etwas brauchte ich jetzt auch, denn der Trick ist folgender: Der Tod ist unausweichlich, doch was wirklich zählt, ist die Wiederauferstehung. Ich fand, wir alle sollten sterben und anschließend wiederauferstehen.
Ich begann, eine Jean Grey, die den Shuttleabsturz überlebt hatte, in ihrem heilenden Kokon auf dem Grund der Jamaica Bay zu zeichnen. Ich zeichnete sie in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit, strotzend vor wiedergewonnener Energie. Diese Zeichnung würde ich meinem Vater schenken, sobald ich ihn besuchen durfte.
Zum Monticello gelangte man, indem man dem Wegweiser zum Klettergarten folgte, einen langen Feldweg nahm, den man irgendwann verließ, um weitere zehn Minuten einen Trampelpfad entlangzulaufen, der nur von Ziegen und Wanderern benutzt wurde, also von Leuten, die an der schönen Aussicht interessiert waren. Wer wollte, konnte dann noch auf allen vieren einen Felsen erklimmen.
Das erklärte mir Großvater beim Frühstück, als ich mich danach erkundigte, allerdings ohne durchblicken zu lassen, dass ich den Monticello selbst besteigen wollte; denn das hätte er mir bestimmt verboten. Ich hatte inzwischen verstanden, dass er zwar nicht vorhatte, sich mit mir zu beschäftigen, aber doch verhindern wollte, dass ich mich verletzte: Sein vornehmstes, wenn auch nicht einziges Ziel bestand darin, mich meiner Mutter wieder heil zu übergeben. Ich behauptete, die Namen der Berggipfel auswendig lernen zu wollen und wissen zu müssen, welche Pässe das Tal umgaben. Das bräuchte ich für die Schule, für eine Hausarbeit. Er nannte mir weitere Namen, die ich sofort wieder vergaß.
Keine halbe Stunde später war ich schon unterwegs. Die sengende Sonne der letzten Tage war einem Dunstschleier gewichen, den ich in der Kehle spürte und der mir den Atem raubte. Hinter den Gebirgskämmen stiegen Wolken auf, die sich an den Bergen auflösten. Andere wurden vom Wind höher getrieben. Damit
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