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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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49 Stories steht darauf.
    »Darf ich es mitnehmen?«
    »Klar. Möchtest du es hier lesen?«
    »Nein, danke.«
    Als ich zu Hause im schwachen Licht eines ramponierten Nachttischlämpchens, das ich irgendwo aufgetrieben habe, unter der Bettdecke liege, schlage ich es auf. Ich beginne nicht mit der ersten Geschichte, blättere im Buch, als mir eine mit dem Titel Ein sauberes, gutbeleuchtetes Café ins Auge springt. Damit fange ich an, und als ich einschlafe, bin ich ein alter Mann in einer Bar, der in dem Schatten sitzt, den die Blätter des Baums vor dem elektrischen Licht werfen. Und das Nichts ist mit mir.
    *
    Am besten gefällt mir der Schulweg. Dabei überquere ich eine alte Holzbrücke, und das dumpfe Poltern der Bretter, das Rauschen des darunter durchfließenden Bachs stimmen mich auf den Tag ein.
    Professoressa Scaglioni unterrichtet Italienisch. Sie ist jung, nett, äußerst engagiert, aber auch sehr schön. Eines Tages spreche ich sie nach der Schule an: »Ich lese gerade Hemingway. Kennen Sie den?«
    Sie beginnt zu strahlen. »Wirklich? Was denn genau?«
    »Die Kurzgeschichten.«
    »Die 49 stories ?«
    »Ja.«
    Sie schlägt vor, mich nach Hause zu begleiten, und unterwegs reden wir über Bücher: über die, die sie liest, und über die, die mir gefallen. Vor der Haustür der Witwe verabschieden wir uns. Ich würde sie gern hinaufbitten. Schon beim Gedanken daran, worum ich sie gern bitten würde, zittere ich die ganze Nacht.
    Professore Dalla Paola raucht den ganzen Tag, auch im Klassenzimmer, die Luft ist zum Schneiden. Er ist mürrisch und barsch, aber ich schätze ihn sehr. Er unterrichtet Geschichte, am liebsten stellt er große Schlachten nach. Wenn er spricht, kann man eine Stecknadel fallen hören.
    Professore Cusma ist ein guter Techniker, aber ein schlechter Lehrer. Er beginnt, etwas zu erklären, gerät ins Stocken und sagt dann: »Gut, den Rest seht ihr dann in der Werkstatt.« Er erklärt das Eisen-Kohlenstoff-Diagramm, verstummt und sagt: »Das zeige ich euch dann in der Werkstatt.« Von ihm habe ich gelernt, mich nicht so ernst zu nehmen.
    Professore Verzuolo, der Schulleiter, war vorher bei der Armee. Er hat in Indochina gekämpft, war in der Fremdenlegion. Wenn er das Klassenzimmer betritt, müssen wir aufstehen und die Hacken zusammenschlagen. Er merkt jedes Mal, wer sie nicht richtig zusammengeschlagen hat, und lässt den Gruß wiederholen. Er unterrichtet Mathematik. Er gibt uns seitenweise Hausaufgaben auf, und zwar in Schönschrift. Liefert man eine Arbeit ab, die auch nur einen Fleck, einen Klecks oder unsaubere Schrift enthält, zerreißt er sie vor aller Augen und zwingt einen, sie noch mal zu schreiben. Ich habe eine furchtbare Schrift, deshalb büffle ich Mathe.
    Professoressa Bo unterrichtet Naturkunde. Sie betritt grußlos den Raum und erwartet auch nicht, gegrüßt zu werden. Sie nimmt ein Stück Kreide und schreibt etwas an die Tafel, ohne zu gucken, ob wir überhaupt aufpassen. Und tatsächlich passt niemand auf.
    Ferrero unterrichtet Mechanik. Verzuolo erklärt uns die Logarithmen aus theoretischer Sicht, aber bei Ferrero wenden wir sie bei Konstruktionsberechnungen an.
    Rossa ist für die Werkstatt verantwortlich und unerträglich. In den ersten zwei Jahren feilen wir. Wir tun nichts anderes als feilen. Vertut man sich um einen Hundertstelmillimeter, muss man wieder von vorn anfangen, auch wenn man dreißig, vierzig Stunden an dem Ding gearbeitet hat. Meine erste Arbeit dauert ein Jahr. Die anderen sind nach zwei Monaten fertig.
    Professoressa Arengo unterrichtet Englisch, und zwar mithilfe von Liedern. Auch sie ist eine schöne Frau, allerdings um einige Jahre älter als Professoressa Scaglioni. Was mich an ihr am meisten begeistert, ist, dass sie keine Noten gibt. Sie hört uns beim Reden, Diskutieren und Singen zu. Sie stellt Fragen zu den Geschichten, die sie uns erzählt. Wir gehen spazieren, und währenddessen beschreibt sie uns die Landschaft auf Englisch. Sie fordert uns auf, einen typischen Dialog zwischen Bäcker und Kunde nachzuspielen. Wir lernen, was wir lernen. Und was wir nicht lernen, lernen wir eben nicht.
    Es gefällt mir, nicht bewertet zu werden.
    Das Geld, das mir unsere Mutter am Monatsende per Post schickt, ist nicht sehr viel. Es reicht nicht, um das Zimmer, das Essen, die Stifte und Schulhefte zu bezahlen. Die Kleider verschleißen immer mehr, und ich brauche dringend neue. Die Schuhsohlen laufen sich ab. Manchmal machen wir Ausflüge in die Berge:

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