Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
Vom Netzwerk:
Ausschussware.«
    »Kann man die wiederverwenden?«, frage ich.
    Achselzucken. »Dazu müsste man schauen, was am Boden so rumliegt.«
    An den restlichen Wochentagen bleibe ich bis spät im Büro. Wenn alle nach Hause gegangen sind und niemand mehr da ist, nicht einmal die Sekretärinnen, schleiche ich mich, kurz bevor die Putztrupps kommen, in Werkstätten und Labors. Der Boden ist mit allen möglichen Materialien bedeckt, und die Putzkräfte können nicht unterscheiden, was wiederverwertbar ist und was nicht. Sie werfen alles weg – aber ich nicht. Ich kann das unterscheiden. Abend für Abend fülle ich heimlich ganze Säcke. Am Ende der Woche ermittle ich den Materialwert dessen, was ich bergen konnte. Am Montagmorgen werde ich beim Abteilungsleiter vorstellig. Ich leere die Säcke auf dem Boden aus: Dioden, Transistoren, Kabel. Er sieht mich entsetzt an, eine Hand erstarrt in der Luft.
    »Was Sie hier sehen, ist nur ein Bruchteil dessen, was jede Woche weggeworfen wird.« Ich hole meine Aufzeichnungen hervor, lese Daten vor.
    »Warum haben Sie das getan?«, fragt er.
    »Was?«
    »Warum haben Sie dieses Material gesammelt? Sie sollten die Herstellungskosten erfassen und uns sagen, was eine Serienproduktion kosten wird, oder etwa nicht? Warum haben Sie dieses Zeug gesammelt?«
    Ich weiß es nicht. »Es lag auf dem Boden herum«, sage ich, nicht ohne hinzuzufügen: »Ich mag keine Verschwendung.«
    Der Abteilungsleiter ruft die Verantwortlichen zu sich. »Warum tut ihr nicht das Gleiche wie Coifmann?«
    Die Verantwortlichen antworten nicht, sie senken den Blick und heben ihn nur, um mich anzustarren. Zwei Personen werden aufgefordert, den Müll zu durchsieben. Alles, was wiederverwendet werden kann, kommt zurück ins Lager.
    »Gut gemacht, Coifmann!«, sagt mein Chef.
    Ich bin verwirrt, bedanke mich. Ich will schon gehen, halte aber noch einmal inne, die Hand auf der Klinke. »Signore …«
    »Schießen Sie los, Coifmann!«
    »Ich werde heiraten.«
    »Tatsächlich? Meinen Glückwunsch! Wann denn?«
    »Das weiß ich noch nicht. Ich muss erst noch einen Antrag machen.
    Er lacht. »Mir?«
    »Nein«, sage ich. »Derjenigen, die ich heiraten will.«
    »Ich verstehe Sie nicht, Coifmann! Wieso sagen Sie, dass Sie heiraten werden, wenn Sie der Betreffenden noch gar keinen Antrag gemacht haben? Wollen Sie sie etwa entführen?«
    »Es geht ums Geld, nur darum. Um mein Gehalt.«
    Lächelnd sagt der Chef: »Sie bekommen eine Gehaltserhöhung, Coifmann.«
    Auf dem Weg zum Hotel treffe ich Gioele. Es ist schon lange her, dass wir uns gesehen haben. Ich lade ihn auf ein Getränk ein. Ich hatte ganz vergessen, wie gut es tut, mit ihm zu reden. Er hört schweigend zu, seine wenigen Fragen treffen genau ins Schwarze und bringen mich dazu weiterzusprechen, ja bringen mich auf neue Gedanken. Während ich rede, nimmt er ab und zu meine Hand und drückt sie, so wie viele Jahre zuvor in seinem Bett. Auch er möchte mir etwas sagen, rückt aber nicht heraus mit der Sprache. Ich lasse nicht locker.
    »Nächstes Mal«, sagt er.
    *
    Wir stehen auf dem Gipfel, von dem aus man den Gran Paradiso sehen kann, als ich Elena frage, ob sie mich heiraten will. Sie bricht in Tränen aus, küsst mich. Beim Abstieg spricht sie über die Hochzeitsvorbereitungen, das Hochzeitsessen, die Gäste.
    Darüber, wie wir es ihren Eltern sagen sollen. Wir beschließen, sie am nächsten Sonntag einzuweihen: Ich werde zum Mittagessen nach Turin kommen, dann werden wir einen Spaziergang im Valentino-Park machen, uns auf eine Bank am Fluss setzen und es ihnen sagen. Elena fragt sich auch, wo wir leben werden. Sie studiert in Turin und kann nicht in Ivrea wohnen. Sie bleibt am Rand eines Felsvorsprungs stehen und sagt mit weit aufgerissenen Augen: »Wie sollen wir das bloß machen?«
    »Ich werde pendeln«, erwidere ich. »Wenn ich nicht aus Ivrea wegkann, werde ich in meinem Pensionszimmer übernachten, genau wie bisher.«
    Sie umarmt mich. »Ich liebe dich«, sagt sie.
    »Ich würde meine Mutter auch gern in Turin unterbringen«, erkläre ich. »Natürlich nicht bei uns in der Wohnung. Aber in unserer Nähe.«
    »Warum nicht bei uns in der Wohnung?« Sie nimmt meine Hand. Gemeinsam setzen wir den Abstieg fort. »Ich finde deine Mutter äußerst sympathisch.«
    »Ihr habt euch nur einmal gesehen.«
    »Ich bin mir sicher, dass wir miteinander auskommen werden.«
    Ich schlage das meiner Mutter vor, die ablehnt. Sie will nicht aus Genua weg.
    Sie habe schon genug

Weitere Kostenlose Bücher