Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
Angebot an!« Am Abend spreche ich lange mit Elena darüber, die meint: »Dann müsstest du nicht mehr pendeln, und wir könnten jeden Tag gemeinsam zu Abend essen und morgens zusammen frühstücken. Und denk an das Gehalt! Vielleicht bekommst du dort mehr Geld. Du musst gut verhandeln.«
Ich sage nichts dazu, sondern lege meinen Kopf in ihren Schoß.
Sie fährt mir durchs Haar. Am Tag darauf kündige ich. Alle wundern sich und sind enttäuscht. Ich komme mir vor wie ein Verräter, kann nicht mehr in den Spiegel schauen.
Als ich den Vertrag mit meinem neuen Arbeitgeber unterschreibe, nennt man mir ein Gehalt, das genauso hoch ist wie mein altes. »Geht das in Ordnung?«
»Ja, klar«, sage ich.
Als ich am Abend nach Hause komme, habe ich Angst, Elena davon zu erzählen. Ich fühle mich schuldig, aber sie wird nicht ungehalten und schimpft mich nicht, obwohl sie das Recht dazu hätte. Stattdessen sagt sie: »Ist doch egal! Die werden dich schon ordentlich bezahlen, wenn sie erst mal merken, was du wert bist.«
Ich arbeite mit einem Team aus Zeitnehmern zusammen, um die Produktion zu planen. Die Zeitnehmer sind alles Spezialisten: Einer kennt sämtliche Geheimnisse des Blechstanzens, ein anderer beschäftigt sich nur mit dem Stanzen von Plastik, und wieder ein anderer weiß alles über die Montage. Das einzige Wissen, das sie teilen, betrifft Vertrags- und Gewerkschaftsangelegenheiten. Ich muss ihre Arbeit koordinieren. Langsam beginne ich, mich wohlzufühlen. Ich habe das Richtige getan: Elena ist glücklich, und der Mann, der mich eingestellt hat, ist zufrieden.
Ein Jahr später wird mir die Markteinführung des ersten Autos anvertraut.
Ich muss nach Deutschland fahren, um dort mit dem wichtigsten deutschen Händler zu verhandeln. Mit einem gewissen Schnellinger. Wir sind zu zweit. Mein Kollege kann sehr gut Englisch, keiner von uns kann Deutsch. Am Flughafen wartet ein Wagen, der uns abholen soll. Der Chauffeur, ein riesiger Muskelprotz, bittet uns auf Deutsch, ihm zu folgen. Während der Fahrt erklärt mein Kollege, was wir sagen und tun müssen. Ich schweige und höre zu. Am nächsten Morgen holt uns derselbe Chauffeur vom Hotel ab. Die Büroräume Schnellingers befinden sich im dritten Stock eines imposanten Gebäudes aus Glas und Beton. Schnellinger raucht eine Zigarre, die Luft ist zum Schneiden. Nach einer halben Stunde mit Vorbemerkungen entschuldige ich mich und gehe auf die Toilette. Am Ende des Flurs steht der Chauffeur. Er spricht mit einem Boten, nimmt zwei Pizzakartons entgegen, bezahlt und verabschiedet ihn wieder – auf Italienisch. Als ich von der Toilette komme, steht die Pizza auf dem Tisch, dazu gibt es deutsches Bier.
»Feiern wir die Hochzeit zwischen Italien und Deutschland!«, sagt Schnellinger.
Abends im Hotel kann ich nicht einschlafen. Ich gehe in die Lobby hinunter und schaue fern. Der junge Mann, der Nachtschicht hat, ist ebenfalls Italiener, und wir kommen ins Gespräch. Ich erkundige mich bei ihm nach Schnellinger. »Das ist ein mächtiger Mann«, sagt er. »Ihm gehört fast die ganze Stadt.«
»Kommt er aus einer Industriellenfamilie?«
»Nein. Er ist ein ehemaliger Nazioffizier, der im Krieg zu Geld gekommen ist.«
Am Tag darauf nimmt uns Schnellinger mit zum Achterbahnfahren. Die Achterbahn ist neu, sie wurde gerade erst eingeweiht. Der ganze Vergnügungspark gehört ihm. Er spendiert uns jede Menge Bier, und wir essen Würstel, Sauerkraut und italienisches Eis. »Ich liebe Italien!«, sagt er, und als er das sagt, stinkt sein Atem nach Fleisch, Tabak und Essig.
Mit einem höchst unvorteilhaften Vertrag kehren wir nach Hause zurück.
*
Der Firmenchef lädt Schnellinger nach Turin ein. Mein Vorgesetzter weist mich an, mich um alles zu kümmern: um seine Reise, sein Essen, seine Unterbringung. Ich soll dafür sorgen, dass er sich wohlfühlt.
Ich gehorche.
Ich reserviere das Hotel und das Restaurant, lasse ihn die beste Schokolade der Stadt verkosten und besuche mit ihm ein Weingut in den Langhe, wo er zehn Kisten Wein kauft, die er nach Deutschland schicken lässt.
Schnellinger staunt über unsere Büroräume, vor allem über unsere Fertigungsstraße. Am dritten Tag bittet mich mein Chef, ihn in die Designabteilung zu begleiten, in der die verschiedenen Modelle entworfen werden. Sie befindet sich außerhalb der Stadt in einem großen dreistöckigen Gebäude. Zwei Stockwerke davon sind mit Büros belegt, das dritte ist privat, es gehört dem Firmeninhaber. Man
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