Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
Vormittag sagt Elena: »So kannst du nicht weitermachen, du musst es ihnen sagen. Ruf an und sag, dass du kündigst!«
»Geht das denn?«, frage ich.
»Oh, Simone!«, sagt Elena, zieht mich an sich und liebkost mich.
*
Ich bin arbeitslos. Ich schicke meinen Lebenslauf herum und biete mich als Berater an. Ich stelle mich bei kleinen Firmen vor, weil ich nicht den Mut habe, bei den großen anzuklopfen. Aber die kleinen Firmen haben nichts für mich zu tun, dort werde ich nicht gebraucht.
Eines Tages bekomme ich einen Anruf aus Florenz: eine Firma, die Strumpfhosen produziert, bittet mich zu einem Vorstellungsgespräch. Ich sage zu, die Fahrt wird bezahlt. Es ist das erste Mal, dass ich die Fahrt zu einem Vorstellungsgespräch bezahlt bekomme.
Ich fahre nach Florenz, die Leute sind nett und professionell. Sie könnten mich gebrauchen, aber das Treffen läuft schlecht. Es ist meine Schuld, ich bin nervös und stottere. Es ist Juni. Florenz ist die heißeste Stadt Italiens und das Büro des Geschäftsführers das heißeste von ganz Florenz. Ich spüre, wie ich zerfließe. Ich bin eine Kerze mit Docht statt Kopf. Als wir uns verabschieden, weiß ich, dass es kein zweites Gespräch mehr geben wird.
Als ich im Zugabteil Platz nehme, um nach Hause zu fahren, bin ich ein trauriger Wachsklumpen, ich verströme Versagensgestank, so als hätte ich faulen Fisch in der Tasche.
Mein Nebenmann spricht mich an. Er ist wie aus dem Nichts aufgetaucht und fragt: »Kennen Sie sich mit Kunst aus?«
»Meinen Sie mich?«, flüstere ich.
»Ja, Sie! Ich möchte Sie nicht beleidigen, aber Sie sehen nicht so aus, als würden Sie etwas davon verstehen. Ich brauche Ihren Rat, einfach so aus dem Bauch heraus. Darf ich Ihnen Zeichnungen zeigen?«
Ich sage Ja.
Der Mann ist elegant gekleidet, hat aber das rote Gesicht eines Bauern oder Arbeiters. Dazu blendend weiße Zähne, eine Säufernase mit geplatzten Äderchen, die groben, abgearbeiteten Hände eines Spenglers. Er spricht zwar keinen Dialekt, aber ein nicht sehr gewähltes, regional eingefärbtes Italienisch. Er zeigt mir die Zeichnungen, sagt, sie seien von einem unbekannten Maler: Es sind Porträts von Frauen, Hunden und Kindern.
»Ihr Wert soll sich in drei Jahren verdoppeln«, sagt er.
»Sie sind schön«, sage ich.
»Finden Sie?«
»Ja.«
»Ich habe sie für mein Büro ausgesucht. Bilder, die man ins Büro hängt, sagen viel über einen aus. Als was arbeiten Sie?«
Ich müsste sagen: »Gar nichts«, bringe aber gerade noch heraus: »Als Unternehmensberater. Ich bin auf Betriebsabläufe spezialisiert, beschäftige mich mit Umstrukturierungen.«
»Und das bedeutet?«
Ich atme tief durch und erkläre es ihm. Anschließend sieht mich der Mann mit den Bildern verblüfft an und sagt: »Warum sollte man jemanden von außen dazuholen, damit er Arbeitsabläufe umstrukturiert, die jeder in der Firma besser kennt als er?«
»Weil Routine blind macht«, sage ich. »Wenn man etwas immer so macht, denkt man, es geht nicht anders.«
Er überlegt und sagt: »Ich habe eine Firma.«
»Tatsächlich?«
»Ich stelle Lampen her. Was halten Sie davon, wenn Sie mich besuchen?«
»Wann?«
»Wann Sie wollen.«
Wir tauschen Telefonnummern aus. Zu Hause spreche ich mit Elena darüber. Ich erzähle ihr, dass die Lampenfabrik in der Toskana liegt, dass ich wochenlang von zu Hause weg sein werde, wenn es mit einem Auftrag klappt.
»Du hast deine Entscheidung bereits gefällt«, sagt Elena. »Das sehe ich dir doch an. Also, von mir aus!« Dann muss sie lachen und küsst mich. »Wollen wir das feiern?«
*
Die Fabrik des Mannes mit den Bildern ist eine Vorzeigefabrik. Fünfhundert Menschen arbeiten dort: Arbeiter, Angestellte, Sekretärinnen. Nichts wird hinzugekauft, alles wird intern produziert, sogar die Stoffe werden selbst bedruckt. Ich bekomme den Auftrag, die Effizienz einer Fertigungsstraße zu überprüfen.
»Ich gebe Ihnen zwei Tage«, sagt der Mann mit den Bildern.
Ich rede mit den Leuten, sehe mir den Herstellungsprozess an, schaue mich um.
Ich habe ein Hotelzimmer ganz in der Nähe reserviert, in dem ich übernachte. Eigentlich hätte ich Halbpension, aber als ich die Fabrik verlasse, ist es fast Mitternacht, und die Küche hat schon geschlossen. Ich bekomme Brot, drei Scheiben Schinken und ein Glas Wein. Am Abend des zweiten Tages melde ich mich bei dem Mann mit den Bildern und erläutere ihm, wie sich die Fertigungsstraße verbessern lässt. Er hört mir äußerlich unbewegt
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