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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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schöner.« Die Chauffeure vergessen, mich vom Flughafen abzuholen. Und wenn sie es nicht vergessen, finden sie mich nicht und fahren wieder, auch wenn ich am vereinbarten Treffpunkt vor ihnen stehe. Ich arbeite bis spät in die Nacht, um Berichte fertigzuschreiben, die ich am nächsten Tag einem wichtigen Geschäftsführer vorstellen muss. Wenn ich ihn dann aufsuche, bitte ich jemand anders, meine Ergebnisse vorzutragen. Ich habe keine Stimme mehr, sondere mich von den anderen ab, setze mich, lehne den Kopf an die Wand und höre mir meine Erkenntnisse an. Anschließend klatschen alle, stehen auf und beglückwünschen den Vortragenden. Ich verlasse den Raum und zünde mir eine Zigarette an.
    *
    Ich habe angefangen zu rauchen. Morgens nach dem Aufstehen, am Bahnhof in der Schlange vor dem Fahrkartenschalter, nach dem Mittagessen, nach dem Abendessen, nach dem Kaffee.
    Zu Hause gehe ich auf den Balkon, lasse den Blick über die Häuser und die Berge in der Ferne schweifen. Ich rauche nicht gern: Ich hasse den Teergeschmack, der an Gaumen und Zähnen zurückbleibt, wenn man mit der Zunge darüberfährt. Ich inhaliere nicht, behalte den Rauch bloß im Mund und stoße ihn wieder aus.
    Aber ich rauche. Wenn es kalt ist, rauche ich in der Wohnung.
    Eines Tages sagt Elena, dass ich drinnen nicht mehr rauchen darf, ich möge bitte hinausgehen, auch bei Kälte. »Zieh den Mantel an, wenn es sein muss.«
    »Entschuldige, ich wusste nicht, dass es dich stört.«
    »Ich bin nicht diejenige, die es stört.«
    »Hat sich deine Mutter beschwert?«, frage ich.
    Elena legt ein Puzzle, ein Motiv von Alfons Mucha. Während sie mit gespreizten Oberschenkeln am Tisch sitzt, lässt sie ein Teil herumsausen wie ein Aufklärungsflugzeug. »Ich bekomme ein Baby«, sagt sie und mustert mich mit einem spöttischen Grinsen. »Das heißt, wir bekommen ein Baby.«
    »Du bist schwanger?«
    »Ich glaube, anders kann man kein Kind kriegen.«
    Ich bleibe im Sessel sitzen, meine Beine sind wie gelähmt: ein Kind.
    Ich denke an die Augen, den Mund, die Ohren, die Hände, die Lunge, die Leber und die Nieren, die in Elena heranwachsen, während sie vor meinen Augen versucht, ein Eckstück in das Motiv auf dem Tisch einzupassen: ein Fragment in das große Ganze. Ich denke an den in ihr heranwachsenden Embryo, der irgendwann die Stimmen seiner Eltern erkennen, Musik hören, Hell und Dunkel voneinander unterscheiden, Schluckauf haben und anfangen wird, am Daumen zu lutschen. Der träumt.
    Ich stürze mich auf Elena und küsse sie, wobei ich den Sessel grob beiseiteschiebe. »Vorsicht!«, sagt sie und legt eine Hand auf den Bauch. Ich gehe auf die Knie und lege mein Ohr darauf. »Hallo, kannst du mich hören?«, sage ich, und dann zu Elena: »Isst es? Vielleicht hat es schon bestimmte Vorlieben. Hast du Heißhungerattacken?«
    »Ich weiß nur, dass Babys Geschmack über das Fruchtwasser wahrnehmen.«
    »Hat es dir geschmeckt? Ja, danke, ich hätte gern noch einen Nachschlag!«, sage ich.
    Elena streicht sich die Haare aus dem Gesicht. »Es liegen noch neun Monate Ungewissheit vor uns.«
    »Neun Monate«, sage ich. »Warum dauert das so lange?«
    »Das Leben entwickelt sich langsam. Außerdem glaube ich, dass die neun Monate auch dazu dienen, Eltern zu entwickeln und nicht nur das Kind. Manche Tierarten sind nur kurz trächtig. Katzen und Hunde etwa sechzig, Löwen und Tiger hundert Tage. Für sie ist es einfacher.«
    »Wir werden gut sein.«
    »Was?«
    »Gute Eltern.«
    Ich entdecke ein Puzzleteil unter dem Tisch und hebe es auf.
    »Da hat es also gesteckt!«, ruft Elena. »Genau danach habe ich gesucht.«
    Sie nimmt es und legt es an seinen Platz.
    »Jetzt passt alles«, sagt sie.
    *
    Es fällt mir immer schwerer, morgens aus dem Haus zu gehen. Elena und unser Kind sind die Energie, der Sinn, die Antwort auf meine Fragen. In ihrer Gegenwart fließt das Blut mit neuem Schwung durch meine Adern. Meine Haare sind glänzender und kräftiger, und der ständige Schmerz, der mir den Rücken krümmt, verschwindet spurlos.
    Zu Hause glückt mir alles. Ich baue ein Regal, hänge Bilder auf. In der Arbeit entgleitet mir alles: der Stift, die Mappe mit den Berichten, die Kaffeetasse. An bestimmten Tagen entgleitet mir nichts, weil ich erst gar nichts zu fassen bekomme. Die Finger verfehlen den Tacker, als wäre er aus Luft. Ich setze mich und gehe zu Boden, als wäre ich durch die Sitzfläche gefallen.
    Ich arbeite schlecht. Mir zittern die Beine. Ich gehe zum Arzt,

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