Der Sommer auf Usedom
sollte.
»Doch, Sie sind beleidigt. Mit Recht, ich habe mich wirklich blöd aufgeführt.«
»Ich bin nicht beleidigt«, widersprach Jasmin, »höchstens verwirrt. Als Sie noch am Tisch saßen, sagten Sie, Sie wüssten gern, was der Mann vorhat. Sie haben nicht erwähnt, dass Sie ihn zu kennen glauben.« Jetzt war sie mal auf seine Reaktion gespannt.
»Es ist schon ewig her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich hatte völlig vergessen, dass es für ihn normal ist, durch die Landschaft zu robben, nur um das perfekte Foto zu schießen.« Er hatte keine Sekunde nachdenken müssen, um zu antworten. Jasmin beschloss, ihm zu glauben. »Schade, jetzt ist der Tisch schon abgeräumt«, stellte er fest.
»Das war ich, ich wusste nicht, wann Sie wiederkommen, ob überhaupt.«
»Tut mir echt leid. Und was jetzt? Wollen Sie noch mal hochgehen zu den Bildern?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, ich mache noch einen Spaziergang am Wasser, bevor ich zurückfahre.«
»Was dagegen, wenn ich Sie begleite? Ich könnte Ihnen das Wellenkraftwerk zeigen.«
»Ich habe davon gehört. Liegt das nicht in der Ostsee, also auf der anderen Seite?« Jasmin orientierte sich kurz und zeigte dann etwa in die Richtung, in der der Strand liegen musste.
»Ja, ist wohl zu weit, was? Ist ja auch nur eine Testanlage. Um ehrlich zu sein, gibt es gar nicht viel zu sehen, aber es wäre ein schöner Spaziergang.«
»Ein ziemlich langer Spaziergang«, korrigierte sie.
»Ja, stimmt.« Sie schlenderten zum Ausgang des Museums. »Wollen Sie wirklich schon gehen?« Er blieb stehen und sah sie unglücklich an. »Ich hab’s verpatzt, oder?«
Jasmin wusste nicht recht, was sie sagen sollte. »Was denn verpatzt?«
»Keine Ahnung, ein Date oder ein Rendezvous … Ich habe den Knaben wirklich so lange nicht gesehen, da wollte ich ihm auf jeden Fall guten Tag sagen.«
»Tja, dann haben Sie es wohl eher mit ihm vermasselt. Er machte auf mich einen etwas verstörten Eindruck. Erst stürzten Sie sich halbwegs auf ihn, dann wechseln sie nur ein paar Worte und hauen gleich wieder ab.«
»Ach was, sehr viel hatten wir uns nie zu sagen. Ein kurzes Hallo hat schon gereicht.«
Jasmin wollte noch etwas erwidern, ließ es dann aber bleiben. Gerade war es ihm noch unglaublich wichtig, einen Freund von früher zu begrüßen, dann war ein kurzes Hallo doch wieder genug. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm und wollte jetzt lieber alleine sein.
»Haben Sie für morgen schon etwas geplant?«, fragte er da.
»Noch nichts Festes. Meine Freundin muss arbeiten, sie sagte, dass sie sich erst übermorgen freinehmen würde. Ich müsste noch ein paar Skizzen machen. Eigentlich hatte ich einen Bilderzyklus von Usedom geplant. Bisher habe ich noch nicht viel zusammen.«
»Das ist ja interessant.« Sie waren ganz automatisch nebeneinanderher gelaufen und hatten inzwischen den Hafen von Peenemünde erreicht. Möwen drehten kreischend ihre Runden, ab und zu wehte eine Böe von Osten herüber, die Erfrischung brachte. »Zu welchem Thema?«
Jasmin erzählte von ihrer ursprünglichen Idee. »Ich bin leider noch nicht weit gekommen. Vielleicht verschiebe ich die Bräuche und Sagen und male einfach besondere Orte und Persönlichkeiten der Insel«, überlegte sie laut.
»Das mit den Sitten der Fischer und Seeleute und den vielen Legenden, die Usedom zu bieten hat, finde ich eigentlich ziemlich gut.«
»Eigentlich?«
»Na ja, die Idee mit den Persönlichkeiten und deren Eigenartengefällt mir auch. Würden Sie dann auch ein Porträt von mir malen?«
»Ich weiß ja nicht einmal, ob Sie ein waschechter Inselbewohner sind, geschweige denn eine berühmte Persönlichkeit.« Sie sah ihn erwartungsvoll an.
»Müssen es unbedingt Berühmtheiten sein? Verschrobene Typen und Originale sind doch viel interessanter.« Er lächelte schief.
»Sind Sie denn ein verschrobenes Original?«
»Es gibt auf ganz Usedom nur einen namenlosen Dieter und keinen zweiten, der so gekonnt stolpern kann, ich schwöre.«
»Überzeugt!« Sie musste lachen. Es wäre schön, ihn zu malen, er hatte ein gutes Gesicht. Seine Nase war ein wenig schief, sonst waren seine Proportionen ziemlich gleichmäßig, ein ideales Modell.
»Na, gucken Sie schon, ob ich auf Ihre Leinwand passe? Ich habe ein ovales Gesicht, einen Eierkopf. Falls die Haare nicht mehr draufpassen, kann ich die auch glatt machen.« Schon machte er sich daran, den kurzen Pony, der heute wieder himmelwärts zeigte, in die Stirn zu
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