Der Sommer auf Usedom
tat. Das Wasser spiegelte ihn nicht einfach nur, sondern tupfte ihm zusätzlich unendlich viele winzige Glitzerpunkte auf. Kleine Wellen murmelten am Fuße des Steges. Jasmin schwebte auf Wölkchen. Vielleicht sollte sie das Segelschiff malen, überlegte sie, wenigstens eine Skizze davon machen, es war ein wirklich schönes Motiv. Besonders durch die Insel im Hintergrund,die im Peenestrom lag und zum Greifen nah aussah. Sie konnte ihre Begeisterung kaum im Zaum halten. Wahrscheinlich hätte sie in diesem Moment alles bezaubernd gefunden. Sie musste lachen.
»He, dat is Privatgelände!« Die Männerstimme klang ganz und gar nicht bezaubernd. Jasmin sah sich um und schirmte ihre Augen dabei mit einer Hand ab. »Wenn Sie angeln wollen, sind Sie schon zu weit gerannt. Da vorne is das Büro.« Der Mann war klein und trug eine Latzhose, die ihm mindestens zwei Nummern zu groß war. Die ausgewaschenen hellblauen Hosenbeine waren aufgerollt, der Latz hing wie ein Beutel vor der schmalen nackten Brust, wie sie feststellte, als sie ihm entgegenging. »Sieht man doch, dass hier Schluss is«, schimpfte er und stemmte die Fäuste in die Hüften.
»Entschuldigung, ich wollte nur einen Blick auf das wunderschöne Schiff werfen. Ich will nicht angeln.«
»Dat is Privatbesitz.« Er neigte den Kopf kurz zur Seite, was wohl bedeuten sollte, dass er den Zweimaster meinte. »Is nich zu verkaufen und auch nich zu vermieten. Und angucken is auch nich.«
»Liebe Güte, mit welchem Fuß sind Sie denn heute aus der Hütte gestiefelt?«, entfuhr es ihr.
»Wat?« Damit hatte der Mann nicht gerechnet.
»Ist doch wahr! Gerade eben hatte ich noch umwerfend gute Laune. Und da tauchen Sie auf und fahren mich derartig an. Ich will Ihr dämliches Segelboot weder kaufen noch mieten.« Sie war inzwischen bei dem Mann angekommen. Er reichte ihr gerade mal bis zum Hals, ein Umstand, der es ihr erleichterte, ihrem Ärger vollends Luft zu machen. »Wie kann man nur so unfreundlich sein? Das ist mir auf Rügen noch nie passiert!« Das war zwar geschwindelt, hatte aber gesessen, damit hatte sie diesen vergrätzten Wicht niedergestreckt. Gabi hatte ihr einmal erzählt, dass die Feindschaft zwischen den Bewohnern der beiden Inseln geradezu legendär sei. Wie es aussah, schien das zu stimmen, stellte sie zufrieden fest.
Das Männlein schnappte nach Luft. »Sie sind aber auch empfindlich«, murmelte er leise und hakte die Daumen in die Träger der Latzhose. »Hab Sie doch gar nich angefahren. Is bloß so, dass hier ständig Touristen rumtrampeln. Die machen vor nix Halt und kennen keine Privatdings. Sie wissen schon.«
»Das kann ich mir allerdings vorstellen«, gab Jasmin zu. »Na dann, nichts für ungut.« Sie war schon an ihm vorbei, da hielt er sie zurück.
»Wissen Sie was von der Insel da?«, fragte er unvermittelt und deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand Richtung Peene, ohne die Hosenträger dabei loszulassen.
Sie blieb stehen und drehte sich um. »Nein, keine Ahnung. Was soll damit sein?«, fragte sie noch immer ein wenig schroff.
»Dat is der Kleine Rohrplan«, sagte er und sah sie an, als müsse ihr nun ein Licht aufgehen.
»Was für ein Plan?« Sie hatte keinen Schimmer, wovon er sprach.
Der Wicht kniff die Augen zusammen und lachte. »Nee, Deern, nich einfach nur Plan, Rohrplan. Von der Insel da sprech ich.« Wieder streckte er den Zeigefinger in die Richtung.
»Ah, verstehe«, meinte sie und bemerkte selbst, wie wenig überzeugend sie klang.
»Dat Fleckchen Erde mitten im Wasser war mal Weideland, genau wie der Große Rohrplan weiter im Norden. Kennen Sie den? Nee, Sie kennen bestimmt den Kleinen Wotig, stimmt’s?«
»Nein.« Nun verstand sie überhaupt nichts mehr.
»Die sind verbunden. Der Kleine Wotig mit dem Großen Rohrplan, meine ich. Aber die Leute sagen nur noch Kleiner Wotig. Is ja auch egal, jedenfalls war das alles mal Weideland.«
»Mitten im Wasser?« Sie sah ungläubig zu dem vorgelagerten Streifen Land hinüber, auf dem Schilf im Rhythmus des Windes wogte.
»Klar doch. Bis in die Sechziger ham die das so gemacht. Ham ihr Vieh von Wolgast gebracht, damit sich das hier satt fressen konnte. In der Stadt gibt’s ja nix für die Viecher.«
»Das ist ja interessant.« Vor Jasmins geistigem Auge fuhren Flöße vom Festland zu der unbewohnten Insel, mit Kühen und Schafen beladen. Ein wunderbares Motiv.
»Als dat vorbei war, ham die im Norden irgendwann einen Deich gebaut. Die wollten da so ’n Spülfeld
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