Der Sommer auf Usedom
ziehen.
»Nicht sehr vorteilhaft«, kommentierte sie. »Außerdem habe ich kein Platzproblem.«
»Gut!« Er strahlte sie fröhlich an.
»Aber Ihre Nase ist schief.«
»Was?« Er griff sich automatisch an die Nase, die er kraus gezogen hatte. »Ehrlich? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Macht nichts«, beruhigte sie ihn. »Ein Gesicht darf nicht perfekt sein, dann wäre es langweilig.«
»Quatsch«, gab er, ohne zu zögern, zurück. Sie hatten das U-Boot erreicht, das am Ende des Hafenbeckens lag. »Sie sehen nun wirklich nicht langweilig aus, dabei haben Sie das perfekte Antlitz«, sagte er mit großer Überzeugung.
Jasmin war verlegen. »Danke für die Blumen«, sagte sie leise. »Aber das habe ich ganz bestimmt nicht.« Er hatte Antlitz gesagt, fiel ihr auf. Was für ein herrlich altmodisches Wort!
»Haben Sie das U-Boot schon besichtigt?«, wollte er wissen.
»Nein.«
»Haben Sie Lust?«
»Lieber nicht. Das ist nichts für mich. Viel zu eng, da bekomme ich hundertprozentig eine Panikattacke.« Sie standen unentschlossen nebeneinander. »Mein Auto steht da hinten«, sagte Jasmin schließlich. »Ich gehe dann mal. Danke für Kaffee und Kuchen.« Sie streckte ihm die Hand hin.
Er hatte einen angenehm festen Händedruck und sah ihr in die Augen. »Tut mir leid, manchmal bin ich wirklich ungeschickt.«
»Ist mir aufgefallen.«
»Nein, ich meine, ich hätte nicht wegrennen sollen. Jetzt haben wir uns gar nicht richtig kennengelernt. Dabei hätte ich mir das wirklich gewünscht.« Nach einer kurzen Pause sagte er etwas leiser: »Sie sind bestimmt schon ganz genervt, weil Sie andauernd von Männern angesprochen werden. Ist ja kein Wunder, wenn man so hübsch ist wie Sie. Aber ich finde Sie nicht einfach nur hübsch, ich finde Sie interessant und sympathisch. Und ich möchte Sie gerne wiedersehen.«
Jasmin spürte, dass ihre Wangen brannten. Wann hatte ihr zum letzten Mal jemand ein solches Kompliment gemacht? Sie knetete die Tüte mit ihrer Keramikschale. »Die Wahrheit ist, dass ich eher nicht von Männern angesprochen werde.«
»Weil die sich nicht trauen. Eine andere Erklärung gibt es nicht«, ließ er sie im Brustton der Überzeugung wissen. »Ich habe eine Idee. Wir treffen uns morgen in Ahlbeck. Ich lasse mir ein ganz besonderes Programm einfallen und verspreche, Ihnen meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Sie können gleich eine Skizze von der Seebrücke machen. Was halten Sie davon? Das ist immerhin ein besonderer Ort, der etwas mit einer besonderen Familie zu tun hat.«
»Ach, und mit welcher Familie?«
»Die von Bülows haben Ahlbeck zu dem gemacht, was es ist. Sie wissen schon, die Vorfahren von Loriot.«
»Wirklich?« Das war ihr neu.
»Ich bin nicht gerade ein routinierter Reiseführer, aber ein bisschen kenne ich mich aus. Wenn Sie Lust haben, erzähle ich Ihnen mehr darüber. Passt Ihnen drei Uhr?«
Auf dem Heimweg bog Jasmin spontan in Trassenheide ab und fuhr nach Zecherin, einem kleinen Fischerdorf, das Gabi ihr ans Herz gelegt hatte. »Da kannst du ein bisschen ursprüngliches Usedom schnuppern«, hatte sie gesagt. Genau das Richtige nach dieser ebenso eigenartigen wie reizvollen Begegnung, fand Jasmin. Sie war aufgewühlt. Zugegeben, es war nicht gerade ein prickelndes Treffen oder ein heißer Flirt gewesen, doch genau das Unperfekte schätzte sie daran. Sie mochte schräge Details und kleine Makel, nicht nur in Gesichtern, die sie porträtieren wollte. Der namenlose Dieter machte Komplimente, ohne ihr das Gefühl zu geben, er schmierte ihr Honig um den Bart. Er wollte sie wiedersehen. Sie musste tief Luft holen vor Glück und fächelte sich mit einer Hand Kühlung zu. Die andere tanzte locker über das Lenkrad. Jasmin grinste vor sich hin wie jemand, der gerade erfahren hatte, dass sein Los sechs Richtige zu bieten hatte. Nun gut, vielleicht nur fünf Richtige, ein kleiner Zweifel verhinderte, dass die Freude gänzlich ungetrübt war. Es gelang ihr allerdings ganz gut, den für eine Weile zu verdrängen. Sie ließ Mölschow hinter sich, fuhr zwischen Feldern entlang und bog im Ort rechts ab, dann gleich wieder links. Die Dorfstraße führte bis hinunter zum Hafen. Jasmin ließ das Auto unter einem Baum stehen und ging an ein paar Jachten, die auf dem Trockenen lagen, und Fischerbooten, die im Wasser dümpelten, vorbei bis ans Ende des Weges. Dort lag ein Zweimaster, der offenbar gerade gestrichen worden war. Der Schiffsleib glänzte so weiß, dass es in den Augen weh
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