Der Sommer auf Usedom
umzuschauen. Das alte Kraftwerk, nicht weniger monströs als das Sauerstoffwerk, an dem sie bei ihrer Ankunft Halt gemacht hatte, die Flugzeuge, Hubschrauber, Raketen samt Abschussrampe, all die brachliegenden Industrieanlagen waren nicht gerade die perfekte Umgebung für einen Urlaubsflirt, ging es ihr durch den Kopf. Schade, der Garten von Lüttenort oder ein hübsches Café in Bansin hätten ihr mehr zugesagt. Immerhin hatten sie schönes Wetter. Jasmin sah den Mann mit großen federnden Schritten zurückkommen. Er balancierte ein Tablett. Wenn das nur gut ging.
»Es gibt Apfelkuchen und Mohnschnecken«, erklärte er. »Ich wusste nicht, was Sie mögen, da habe ich von jeder Sorte ein Stück genommen. Sie dürfen aussuchen, oder wir teilen.«
»Teilen«, entschied sie.
»Sehr schön.« Er lud Teller, Tassen und Wassergläser ab und warf das Tablett achtlos auf den Rasen. »Lassen Sie sich’s schmecken.«
»Danke schön.« Sie nahm einen Schluck Wasser. »Wollen Sie mir nicht endlich Ihren Namen verraten?«
»Namen werden überbewertet«, meinte er und konzentriertesich auf seinen Kuchen. »Raten Sie einfach, es wird schon passen.«
Ließ er sich denn gar nicht aus der Reserve locken? »Sie sehen aus wie ein Dieter«, versuchte sie es.
Seine Augenbrauen schnellten in die Höhe und legten die Stirn in tiefe Falten. »Dieter? Wirklich? Nein!«
»Doch, ich finde, genau danach sehen Sie aus.«
Anscheinend dachte er über etwas nach. Plötzlich sagte er kauend: »Dieter ist okay. Habe gerade mal überlegt, welche Dieters ich kenne. Die sind alle in Ordnung.«
Sie hob ihre Kaffeetasse an. »Na dann … Dieter«, sagte sie und stieß sanft gegen seine Tasse. Noch hatte sie die Hoffnung, er würde es nicht dabei belassen, aber danach sah es nicht aus. Na gut, nannte sie ihn eben Dieter. Warum nicht?
»Und Sie bleiben noch eine Woche auf der Insel?«, wollte er wissen. »Warum so kurz?«
»Länger als zwei Wochen am Stück will mein Chef mich nicht gerne entbehren. Außerdem muss sich meine Freundin dann wieder von mir erholen.«
»Ach ja, Sie wohnen bei einer Freundin, das haben Sie erzählt.«
»Stimmt, im Gegensatz zu Ihnen habe ich schon einiges von mir verraten.«
»Das ist wahr.« Er lachte unbekümmert und dachte nicht daran nachzuziehen. »Am Schmollensee wohnt sie, wenn ich mich recht erinnere.« Er nickte. Jasmin wusste nicht, was sie davon halten sollte. Es schmeichelte ihr, dass er sich diese Dinge gemerkt hatte, andererseits …
»Ihre Freundin hätte sicher nichts dagegen, wenn Sie länger bleiben würden«, nahm er den Faden wieder auf. »Sie sind bestimmt ein absolut umgänglicher Typ.«
»Wie kommen Sie darauf? Vielleicht gehe ich jedem nach einer Stunde schrecklich auf die Nerven.«
»Glaube ich nicht.« Er schüttelte vehement den Kopf. Dann ging sein Blick an ihr vorbei in die Ferne. Er kniff die Augenzusammen und sah für eine Sekunde irritiert aus. »Sie können sich alleine beschäftigen, das ist die halbe Miete.« Während er sprach, fuchtelte er mit der Kuchengabel in der Luft herum.
»Fehlen aber noch fünfzig Prozent«, stellte sie fest.
»Nein, hundert Prozent schafft keiner. Irgendetwas gibt es immer, was andere stört. Aber Sie wirken fröhlich und unkompliziert.« Er sah sie an. »Wie sollte man Sie nicht mögen?«
»Dankeschön!« Er hatte wirklich Charme, das musste man ihm lassen. Auch wenn er jetzt wieder an ihr vorbeistarrte, als würde ihn etwas von ihrer Unterhaltung ablenken. »Sie leben hier auf Usedom?« Jasmin hatte kaum die Hoffnung, darauf eine Reaktion zu bekommen, mit der sie etwas anfangen konnte, aber einen Versuch war es wert.
»Ja«, gab er gedankenverloren zurück. Dann waren Frage inklusive Antwort anscheinend in seinem Hirn angekommen. »In der Gegend«, ergänzte er rasch. »Entschuldigung, ich bin ein bisschen abgelenkt.« Ihr dezent beleidigter Blick hatte also gesessen. »Daran ist der Typ dahinten schuld. Ich wüsste zu gern, was der vorhat.«
Jasmin drehte sich um und blickte in die Richtung, der Dieters Aufmerksamkeit gehörte. Sie wusste nicht gleich, wen er meinte, denn zunächst sah alles ganz normal aus. Da stand ein Fahrzeug, ein Straßenbahnwaggon vielleicht. Ein Pärchen saß nicht weit davon entfernt im Gras, mehrere Kinder und Erwachsene liefen hin, betrachteten das gute Stück aus der Nähe. Einige gingen hinein, andere kamen wieder heraus. Dann entdeckte sie einen Schopf, der aus dem hohen Gras hinter dem Wagen zu sehen war,
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