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Der Sommer auf Usedom

Der Sommer auf Usedom

Titel: Der Sommer auf Usedom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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Oberfläche, dann könnte sie berichten, was sie unter der Erde gesehen hatte.
    Während Jasmin mit schnellen Strichen die Mühlräder auf das Papier bannte, denen sie Stoffbespannungen gönnte, die in Wirklichkeit nicht vorhanden waren, sich aber gut machten, wie sie fand, dachte sie darüber nach, wie viele Legenden es auf dieser Insel gab, die sich unter der Erde abspielten. So auch die von der Frau, die in das unbekannte Reich der Zwerge hinabstieg. Es wurde erzählt, dass sie den kleinen Kerlen begegnet war und ihnen ihre Geschichte erzählt hatte. Man ließ sie am Leben und schickte sie mit dem Auftrag nach oben, den Menschen zu sagen, man möge die Wichtel endgültig in Ruhe lassen. Zum Zeichen, dass es sie wahrhaftig gab und die Frau sich nicht etwa alles nur ausgedacht hatte, gab man ihr eine Erbsenranke mit. Die verwandelte sich vor den Augen der Richter in eine Eisenkette.
    Jasmin sah sich wieder um. Wahrscheinlich hockten die Zwerge irgendwo und beobachteten sie, weil sie befürchteten, die Malerin könnte sich auf die Suche nach ihnen machen. Sie lächelte über diesen Gedanken und beschloss, der Kette einige der typischen zarten Erbsentriebe zu zeichnen, die sich wie kleine Spiralen kringelten. Sie würde es so machen, dass man erst auf den zweiten Blick erkannte, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Eisenkette handelte. Damit wäre die Sage gewissermaßen bildlich festgehalten. Zufrieden betrachtete sie die Skizze. Die Ausarbeitung konnte sie später erledigen, zur Not zu Hause in Berlin. Jasmin sah auf ihre Uhr. Ihr blieb noch beinahe eine Stunde, mehr sogar, wenn sie nicht gleich zur Eröffnung des Restaurants vor der Tür stehen wollte. Auf ein paar Minuten kam es wohl nicht an. Sie konnte also noch einen Spaziergang zum Schloss machen. Der fiel kürzer aus, als sie beabsichtigt hatte, denn sie wurde das unangenehme Gefühl nicht los, verfolgt zu werden. Zu allem Überfluss las sie auf einer steinernen Tafel, im Schloss sei der sogenannten Bernsteinhexe der Prozess gemacht worden.Nein, ein Strandspaziergang erschien ihr mit einem Mal deutlich verlockender als länger zwischen alten Gemäuern Skizzen anzufertigen.
    Als sie gerade in ihr Auto einsteigen wollte, hörte sie hinter sich ein Knistern. Sie wollte sich umdrehen, da legten sich zwei große Hände über ihre Augen. Jasmin bekam einen Schreck, registrierte aber sofort, dass der Griff nichts Bedrohliches hatte. Im Gegenteil, die Berührung war beinahe zärtlich.
    »André?«, fragte sie leise.
    »Oder vielleicht doch Dieter?«, kam es zurück.
    »Das kommt doch wohl aufs Gleiche heraus«, sagte sie, schob seine Hände beiseite und drehte sich zu ihm um. »Hallo, das ist eine nette Überraschung.«
    Er trat kein Stück zurück, sondern blieb dicht vor ihr stehen. »Ja? Freust du dich wirklich, oder bist du nicht doch eher erschrocken?«, wollte er von ihr wissen. Es sah aus, als wäre es ihm ernst mit dieser Frage.
    »Naja, so ein plötzlicher Überfall kann einem schon einen Schrecken einjagen.« Jasmin lächelte. »Aber ich freue mich trotzdem.« Während sie ihn anstrahlte, fiel ihr ein, dass sie seinetwegen noch einmal in die Pizzeria hatte fahren wollen. Sie musste mit ihm reden, nur war das Thema alles andere als angenehm. Und jetzt stand er vor ihr, ganz nah, und sah aus, als würde er sie im nächsten Moment küssen. Abwarten, sagte sie sich, du kannst ihn auch nach dem Kuss noch zur Rede stellen.
    Er küsste sie nicht. Stattdessen unterzog er sie einem Verhör. »Warst du schon im Mellenthiner Wasserschloss? Oder willst du noch hin?«
    »Nein, da war ich noch nicht. Gibt’s dort etwas Besonderes zu sehen?«
    »Das weißt du nicht?« Es klang nicht freundlich.
    »Nein, müsste ich?« Sie lächelte unsicher. Was war nur mit ihm los? Das war nicht der Mann, der mit ihr in der Rikscha gesessen und den Sonnenuntergang betrachtet hatte.
    »Heute ist der letzte Tag der Vineta-Ausstellung.« Er sah sie erwartungsvoll an, lauernd beinahe. Ihr wurde mulmig.
    »Vineta-Ausstellung«, stellte sie verständnislos fest. »Und du denkst, die interessiert mich?«
    »Davon bin ich überzeugt.«
    »Ich möchte nicht unhöflich erscheinen. Aber kann es sein, dass ich dir alles aus der Nase ziehen muss?«
    »Kann es sein, dass du mich verschaukelst?« Sein Blick war hart, kein Lächeln zeigte sich um seine Lippen, das auf einen Scherz hingedeutet hätte. »In der Vineta-Ausstellung wird antiker Schmuck gezeigt. Goldschmuck, sehr kostbar«, sagte er

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