Der Sommer deines Todes
Erstes den Handyakku ein. Sekunden später ertönt das Signal, dass Nachrichten eingetroffen sind.
«Cosa la serve?», fragt die Angestellte mich. Als ich auf Englisch antworte, schüttelt sie den Kopf, zuckt entschuldigend mit den Achseln und verschwindet, um eine Kollegin zu holen.
Vor einem Regal mit Haarpflegeprodukten überfliege ich die SMS . Mac hat geschrieben, dass er im Flieger sitzt und um zwölf Uhr mittags in Cagliari landen wird. Ich muss trotz der Schmerzen schmunzeln. Macs nächste Nachricht dämpft meine gute Laune wieder. Mac ist davon überzeugt, dass die Rossis unser Haus in Brooklyn nie bewohnt haben, und instruiert mich, unter keinen Umständen mit ihnen in Verbindung zu treten. Seiner Meinung nach sind Mario und Maria an der Entführung beteiligt und schwer einzuschätzen. In der dritten SMS teilt er mir mit, dass er unsere ausgehungerten Katzen gefüttert hat und sie nun wieder putzmunter sind. Und in der vierten schreibt er, wie sehr er mich liebt.
Die amerikanische Botschaft hat drei Nachrichten hinterlassen. Mit zitternden Fingern rufe ich zurück und spreche mit Sam Quester, der die ganze Nacht vergeblich versucht hat, mich zu erreichen.
«Karin Schaeffer. Endlich. Wie geht es Ihnen?»
«Gut. Ich habe meine Tochter Dathi gefunden, musste den Sohn unserer Freundin jedoch auf dem Polizeirevier zurücklassen.»
«Ich weiß Bescheid. Machen Sie sich bitte keine Sorgen.» Sams betont ruhiger Tonfall verstört mich. «Fremont wird auf das Polizeihauptquartier in Cagliari gebracht. Dem Jungen geht es gut. Die Beamten dort haben entschieden, ihn auf freien Fuß zu setzen, doch wir möchten, dass ihn jemand von der FBI -Außenstelle in Rom in Empfang nimmt. Der Agent sitzt bereits im Flieger.»
«Was weiß das FBI ?» Mir liegt viel daran, dass sie ganz genau Bescheid wissen, dass der Agent vor seiner Landung über alle Vorgänge informiert wird, damit ihm keine Fehler unterlaufen.
«Schwer zu sagen. Das FBI hat sofort reagiert, nachdem ich die Kollegen verständigt habe. Nach meinem Kenntnisstand wurde in New York eine Ermittlung angeschoben, eine große Sache, die mit Ihrem Fall in Verbindung steht, aber das ist, ehrlich gesagt, auch schon alles, was ich weiß. Wir kümmern uns hier nur um die entführten US -Bürger und sorgen dafür, dass uns die Polizei auf Sardinien dabei hilft.»
«Nein», entfährt es mir. «Die lokale Polizei ist Teil des Problems.»
Ich erzähle ihm, was passiert ist.
«Ist das Ihr Ernst?»
«Ja. Ich halte es daher für besser, wenn Sie sie nicht mit einbeziehen.»
«Das verkompliziert die Angelegenheit.» Questers Tonfall legt den Verdacht nahe, dass er die Polizei vor Ort schon informiert hat. «Wo stecken Sie?»
«Haben Sie die hiesigen Behörden bereits kontaktiert?»
«Ich habe Nachforschungen angestellt.»
«Ich bin in eine Stadt namens Orosei gefahren, um Aspirin zu kaufen.»
«Dass Sie Kopfschmerzen haben, wundert mich nicht. Können Sie dort warten, bis wir Sie abholen?»
«Ich glaube, mein Sohn Ben wird nördlich von hier festgehalten. Er ist erst fünf und ich muss ihn finden. Und auch unsere Freundin Mary. Wo genau sie sind, kann ich nicht sagen, aber wir müssen nach ihnen suchen. Jetzt, wo die Katze aus dem Sack ist, befürchte ich, dass die Entführer ihnen etwas antun könnten.» Der Redewendung ist schlecht gewählt, denn sie erinnert mich an Jeff und Justin, die beinahe verhungert wären.
«Bleiben Sie in Orosei, Mrs. Schaeffer. Bitte. Lassen Sie uns nur machen.»
In der Leitung macht sich Schweigen breit.
«Danke», sage ich schließlich. «Ich werde mein Handy ausschalten, aber regelmäßig überprüfen, ob Nachrichten eingegangen sind. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas erfahren?»
«Versprochen.»
Während ich die Regale auf der Suche nach einem bekannten Schmerzmittel abwandere, fällt mir auf, dass ich ihm nicht versprochen habe, in Orosei zu bleiben. Zu warten und mich in Geduld zu üben, erscheint mir geradezu grotesk. Was, wenn Sam Quester gar kein Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft ist? Was, wenn er Enzio Greco kennt? Ich schaffe es einfach nicht, ihm zu vertrauen und hier zu warten.
Die Apothekerin findet mich und fragt: «Brauchen Sie Hilfe?»
«Ibuprofen.»
Ich folge ihr zu einem Regal, aus dem sie eine weiß-rote Schachtel Brufen Plus zieht. Sie mustert mich eindringlich, tippt auf die Packung und hält zwei Finger hoch. Ich zahle an der Kasse und kaufe noch eine Flasche Wasser, damit ich die Tabletten gleich
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