Der Sommer deines Todes
fragend an. Mit einem Kopfschütteln bitte ich ihn um etwas Geduld. Wir lassen den Flughafen hinter uns und fahren auf die Autobahn.
Bei dem Tempo, das der Taxifahrer vorlegt, rauschen die Straßen, Palmen und der strahlend blaue Himmel nur so an uns vorbei.
«Ah. Sie haben die Nachrichten verfolgt», sagt unser Fahrer. «Eine sehr traurige Sache, aber ich kannte ihn nicht. Sardinien ist eine große Insel.»
«Wann ist das passiert?»
«Gestern. Heute ist der Fall die Meldung des Tages. Morgen wird sicher schon über die nächste Sensation berichtet.»
«Was ist ihm zugestoßen?»
«Seine Frau hat bei der Polizei angerufen, weil er nicht nach Hause gekommen ist. Sein Chef machte sich auch Sorgen. Sein Wagen wurde auf einem Seitenstreifen gefunden. Sie haben das Fahrzeug aufgebrochen und ihn tot im Kofferraum gefunden. Erschossen. Mehr wissen sie noch nicht.»
«Auf welcher Straße?»
«Weit weg, in Seulo. Wie sagen Sie noch … mitten in der Pampa.»
«Worum geht es hier?», will Mac wissen.
«Ein Mann namens Dante», erkläre ich, «der für einen Schlüsseldienst arbeitete, wurde gestern ermordet. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass …»
«Du hast gehört, was der Fahrer gesagt hat. Dante ist hier ein weitverbreiteter Name. Vermutlich gibt es viele Männer, die für einen Schlüsseldienst arbeiten, und ein paar von denen werden auch Dante heißen.»
«Im Ernst?», entgegne ich bissig, weil mich seine Belehrung ärgert.
«Joe, der Klempner.» Ebenfalls bissig. «Mike, der Möbelpacker, José, der Gärtner. Also wirklich.»
«Es ist nur so, dass …»
«Jetzt mach mal halblang, Karin. Du machst dir zu viele Sorgen. Wir sind im Urlaub.»
«Stimmt ja. Vielleicht hast du recht.»
Er nimmt meine Hand, drückt sie. Ich erwidere die Geste. Von da an schweigen wir. Nach einer Weile kommen wir an einem Schild vorbei, auf dem Capitana steht, und biegen kurz darauf in die Via Degli Oleandri ein, eine verschlafene, unbefestigte Straße, die zum Haus der Rossis führt. Als das Taxi vor einem Zaun hält, der den Blick in den Vorgarten versperrt, steigt hinter uns eine Staubwolke auf. Vor dem Grundstück steht der schwarze Audi der Rossis – genau wie auf den Bildern der Wohnungstausch-Website.
«Das Tor ist offen», konstatiere ich. «Sieh nur, ein paar von den Kätzchen sind entwischt.» Sie sind ausgesprochen niedlich, doch dass sie einfach so auf der Straße herumtollen, wundert mich. Auf der anderen Straßenseite steht ein kleines Mäuerchen, und dahinter beginnt ein Feld. Diese abgeschiedene Gegend ist wie ausgestorben.
«Sieht ziemlich ungefährlich aus.» Mac öffnet die Tür einen Spaltbreit, und sofort dringt ein Schwall feuchtheißer Luft in den Wagen.
Ich steige aus, bücke mich, hebe ein schwarzes Kätzchen hoch, reibe meine Nase kurz an seiner und setzte es wieder auf den Boden. Mac und der Fahrer machen sich daran, unser Gepäck auszuladen, während ich durch das Tor stürme. «Mary!», rufe ich. «Dathi! Ben! Fremont! Wir sind da!»
Keine Antwort.
«Hallo! Ciao!»
Die trockene Erde unter einer blühenden Weinlaube ziert ein konfuses Muster aus unterschiedlich großen Fußabdrücken und Schatteninseln. Plötzlich schlägt meine Stimmung aus unerfindlichem Grund um, und ich möchte am liebsten laut singen. Auf einmal kann ich mir gar nicht mehr erklären, weshalb ausgerechnet ich, der die Mutterschaft beileibe nicht zugeflogen ist, zumindest vorübergehend darunter gelitten habe, elterliche Pflichten zu übernehmen. In einem Anflug von Rührseligkeit muss ich schwer schlucken. Wo stecken sie nur?
Da der Wagen auf der Straße steht und das Tor unverschlossen ist, gehe ich davon aus, dass sie im Haus sind. Vier Stufen führen auf eine überdachte Veranda, die die Eingangstür beschattet. Ich klopfe zweimal, lege die Hand auf die Klinke und öffne die Tür.
«Die Haustür ist auch nicht abgesperrt», rufe ich Mac zu, der unser Gepäck durch den Vorgarten schleppt.
«Dann sind sie drinnen», entgegnet er mit einer Selbstverständlichkeit, als wären Zweifel jetzt völlig unangebracht. Doch die Bemerkung hat einen Subtext, der mir nicht entgeht. Wie so häufig schwingt in seinen Worten eine Aufforderung mit:
Keep calm and carry on
– Bleib ruhig und mach weiter. Ich soll wohl den Slogan beherzigen, den die britische Regierung zu Beginn des Zweiten Weltkriegs im Rahmen einer PR -Kampagne zur Stärkung der Moral der Bevölkerung auf Plakate gedruckt hat. Zum letzten Muttertag bekam
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