Der Sommer der Frauen
könnte für immer hierbleiben.»
Isabel nickte. Sie fühlte sich zu Smalltalk völlig außerstande. Aber sie konnte nirgendwohin. Auf der Veranda stand ein weintrinkendes Pärchen. In der Küche war Lolly. Und Kat war überall gleichzeitig.
Wie aufs Stichwort tauchte ihre Cousine in diesem Augenblick mit einer Platte Käse, Cracker und Obst auf, stellte den Teller ab und lächelte Isabel zu. «Bedient euch», sagte sie.
Während die Frau sich mit Kat darüber unterhielt, wie viele Leuchttürme man von Boothbay Harbor aus sehen konnte – sie «konnte nur fünf entdecken, dabei sind es doch sieben, oder nicht? Ich
muss
sie alle gesehen haben, ehe ich abreise» –, starrte Isabel die Gouda- und Briewürfelchen, die Cracker mit und ohne Sesam und den mit Dekorblumen verzierten Tellerrand an.
Nicht weinen. Konzentriere dich auf das kleine Käsemesser. Konzentriere dich auf den Uropa, auf seinen schrecklichen Bart. Brich jetzt nicht zusammen, nicht in diesem ollen, chintzbezogenen Aufenthaltsraum.
«Alles in Ordnung, Isabel?» Kat sah sie forschend an.
Isabel zwang sich zu einem Lächeln. «Alles gut. Schön, dich zu sehen, Kat.» Sie konzentrierte sich auf ihre Cousine, hochgewachsen, schlank und hübsch, und das ohne eine Spur Make-up im Gesicht.
Sie hat sich die Haare schneiden lassen
, dachte Isabel, obwohl sie Kat seit letztem Dezember nicht mehr gesehen hatte. Kat war der Typ Frau für enge Röhrenjeans und bestickte Hanfstofftanktops, genau das, was sie auch jetzt trug. Der neue Haarschnitt mit den Stirnfransen machte sie auf edle Weise erwachsener.
«Wo ist denn Edward?», fragte Kat und sah auf der Suche nach dem vertrauten schwarzen Mercedes zum Fenster hinaus. Doch der Wagen war natürlich nicht da. Auf der Straße parkte lediglich Isabels silberner Prius.
«Er konnte nicht mitkommen», sagte Isabel und wandte schnell den Blick ab, weil sie plötzlich wieder das Bild ihres halbnackten Ehemannes vor Augen hatte.
Wie konnte er nur? Wie konnte er?
, dachte sie wieder und wieder, als könnte es darauf eine Antwort geben.
Wir haben einen Pakt, Isabel …
Und dann hatte er es tatsächlich gewagt, ihren Pakt auf diese Weise zu brechen.
Und zwar ausgerechnet mit einer Mutter. Das, was Isabel zu sein sich so sehr wünschte. Das Einzige, was sie beide überhaupt auseinandergetrieben hatte, Edward von ihr weggetrieben hatte. Das ergab doch alles überhaupt keinen Sinn.
Kat nickte, und dann bombardierte die Frau mit der Sonnenbrille ihre Cousine mit Fragen und führte Kat hinaus zu der antiken Kommode im Eingangsbereich, auf der sich Karten und Broschüren stapelten. Isabel registrierte den Blick, den Kat ihr über die Schulter zuwarf, als wollte sie noch etwas sagen, als wollte sie eigentlich bei ihr bleiben, und Isabel sah eilig zum Fenster hinaus. Sie und Kat hatten noch nie miteinander reden können. Es trennten sie sechs Jahre, und als sie sich damals plötzlich ein Zimmer teilen mussten, da graute Isabel vor Kats Stummheit, vor ihrer Art, plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen, ihr graute vor diesem mageren, blassen, immer barfüßigen kleinen Mädchen, und sie ließ Kat nie an sich heran.
Kat kam mit einem Krug Eistee, in dem Zitronenscheiben schwammen, und zwei Gläsern auf einem Tablett zurück. Nachdem sie erst Isabel und dann sich selbst ein Glas eingeschenkt hatte, nahm sie auf dem kleinen Sofa Platz, das im rechten Winkel zu Isabels Sessel stand. «June ist schon ein bisschen früher angekommen als du, aber sie ist mit Charlie runter zu Books Brothers gefahren. Sie wollte Henry bitten, für ein paar Stunden auf ihn aufzupassen.» Kat beugte sich zu Isabel vor. «Offensichtlich hat meine Mutter June gesagt, es wäre besser, wenn Charlie bei ihrer Ankündigung nicht dabei ist.»
Die Ankündigung. Isabel hatte völlig vergessen, weshalb sie eigentlich hergekommen war. «Er soll nicht dabei sein? Warum denn nicht? Weißt du, was sie uns zu sagen hat?»
Kat nahm ihr Glas vom Tablett und stupste die Zitronenscheibe an. «Ich habe keinen blassen Schimmer. Sie wollte mir partout nichts verraten.»
«Glaubst du, sie will die Pension verkaufen?»
«Warum sollte sie?»
Isabel fielen eine ganze Reihe Gründe ein. Aber sie merkte, dass Kat offensichtlich verletzt von der reinen Vorstellung war, und damit konnte sie im Augenblick beim besten Willen nicht umgehen. «Ich gehe mich kurz frischmachen. Bin gleich wieder da.»
Sie musste hier raus! Sie brauchte unbedingt sofort einen Zufluchtsort, wo sie die
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