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Der Sommer der Frauen

Der Sommer der Frauen

Titel: Der Sommer der Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia March
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sah, hinaus auf das in der Morgendämmerung blauschimmernde Wasser und die Boote in allen Größen, während sie den Fischern dabei zusah, wie sie mit Netzen und Reusen hantierten, Jogger und Radfahrer und einen Weberknecht beobachtete, der über das Geländer spazierte, schoben sich langsam ihre neuen Pflichten als Leiterin der Pension in den Vordergrund und verdrängten den Traum. Im Geiste ging sie noch einmal alles durch, was Lolly ihr in den letzten beiden Tagen gezeigt hatte, von der Registrierung der Gäste über die Handhabung der Kreditkartenmaschine, die Buchführung, die Kontrolle der Inserate bei den diversen Unterkunfts-Verbänden, bis dahin, dafür zu sorgen, dass auf den Zimmern zu jeder Zeit ausreichend Handtücher und Toilettenartikel zur Verfügung standen.
    Es gehörte sehr viel mehr dazu, eine kleine Frühstückspension zu führen, als Isabel jemals gedacht hätte. Das war ihr spätestens klargeworden, als die Deans gestern Abend ankamen, obwohl im Grunde nicht viel mehr dazugehörte, als sie zu begrüßen und ihnen das große Zimmer zu zeigen. Sie hatte die ganze Zeit auf Mrs. Dean gewartet, hatte erwartet, dass sie jeden Moment mit ein oder zwei Koffern auftauchen würde, doch als sie dann hinterher noch einmal in Lollys Unterlagen nachsah, stellte sie fest, dass die Reservierung auf einen Erwachsenen und zwei Kinder lautete. Sie blieben eine ganze Woche lang, bis einschließlich Montag des verlängerten Wochenendes.
    Er stand am Ende des Gartens, neben dem Holzapfelbaum, die Hände in die Taschen einer olivgrünen Cargohose geschoben, den Blick auf die freie Aussicht zum Hafen am Fuße des Hügels gerichtet.
    Sie wollte gerade zu einem fröhlichen «Guten Morgen» ansetzen, als wie aus dem Nichts der streunende Hund auftauchte, sich zu ihren nackten Füßen legte und das kleine, weiße, weiche Kinn auf ihre Zehen bettete. Er war an diesem Wochenende schon zweimal zu ihr gekommen. Gestern hatte sie zufällig zum Fenster hinausgeschaut und dabei beobachtet, wie der Hund mitten im Garten stehen blieb, als würde er sie suchen. June und Pearl, die am Picknicktisch saßen und Karten spielten, hatte er gar nicht beachtet. Und als Isabel dann nachmittags mit einem Glas Eistee in der Hand in den Garten gegangen und erschöpft in einen Liegestuhl gesunken war, hatte sie einen Moment später das schon beinahe vertraute flauschige Hundekinn auf ihrem Arm gespürt.
    «Na gut», sagte sie jetzt, so wie sie es gestern auch schon getan hatte, und tätschelte den niedlichen Hundekopf. Was den Hund dazu animierte, an ihr hochzuspringen. Er war zwar nicht besonders groß, aber auch kein Schoßhündchen. Und Isabel trug ein gewohnt elegantes Outfit: gerafftes Seidentanktop in Blasslavendel, weiße Hose und dazu die strassbesetzten flachen Sandalen. Weiße Hose, Seide und ein springender Hund vertrugen sich definitiv nicht. «He, he, he!»
    «Wie heißt er?»
    Isabel drehte sich zu der Stimme um. Sie gehörte Griffin Dean. «Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Er ist am Wochenende auf einmal hier aufgetaucht. Und aus irgendeinem seltsamen Grund hat er es offensichtlich ganz speziell auf mich abgesehen.»
    Griffin Dean lächelte. «Hunde haben ein Gespür für Menschen. Sie müssen eine von den Guten sein.»
    «Ich glaube, es liegt eher daran, dass ich am Freitag die Hotdog-Reste meines Neffen an ihn verfüttert habe.» Isabel kraulte den Hund unterm Kinn. Der Hund legte ihr eine Pfote auf den Arm. «Ich habe das Gefühl, er hat mich adoptiert. Meine Tante – Sie haben sie gestern Abend kennengelernt, ihr gehört die Pension – hat nichts dagegen, dass er hierbleibt, falls keiner ihn vermisst. Wir haben in der Stadt ein paar Zettel aufgehängt und ihn bei der Polizei und im Tierheim gemeldet und» – und sie plapperte schon wieder! Ungewohnt verunsichert sah sie zu Griffin Dean hoch und senkte den Blick dann schnell wieder auf das Hundefell.
    Isabel hatte noch nie einen Hund besessen, gar kein Haustier, wenn man von dem Goldfisch absah, den ihre Mutter ihr erlaubt hatte, nachdem sie ihn auf einem Jahrmarkt gewonnen hatte. Sie hatte auch so schon genug um die Ohren, aber sie spürte das Bedürfnis nach etwas Eigenem, etwas Lebendigem, um das sie sich kümmern konnte.
Irgendwie bin ich ja auch ein heimatloser Streuner
, dachte sie und kraulte zärtlich das Hundekinn.
    Griffin Dean lächelte sie wieder an, und einen Moment lang konnte Isabel den Blick nicht von seinem Gesicht abwenden. In seinen Augen lag etwas der Welt

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