Der Sommer der Frauen
inoffizielle Ende des Sommers und der Touristensaison, und June freute sich auf das feierliche Klirren der Champagnergläser auf Henrys Boot nach Ladenschluss.
Ehe sie den Laden schloss, rief sie bei Kat an, um sich nach Charlie zu erkundigen. Ihre Cousine hatte ihn zu einer öffentlichen Veranstaltung mit Muschelessen und Feuerwerk mitgenommen, und er schlief bereits, seine neue Hummertröte fest umklammert. June machte es glücklich, wie sehr Charlie hier in die Familie eingebettet war. Lächelnd ging sie mit Bean über den Steg zum Hausboot hinunter – und ihr Lächeln wurde noch breiter, als Henry ihnen beiden ein Glas Champagner und ein Dankeschön in Form eines Bonusschecks in die Hand drückte, der mehr als ausreichend war, um Charlies Nachmittagsbetreuung im nächsten Schuljahr sicherzustellen. Sie stießen an, tranken Champagner und aßen Tortilla-Chips mit Henrys extraguter, hausgemachter Salsa, während aus der alten Stereoanlage sanft die Stimme von Van Morrison erklang.
Kurz darauf kam Beans Freund, um sie abzuholen, und wieder einmal war June getroffen von der Heftigkeit des Wunsches, so etwas auch zu haben. Sie wollte auch jemanden, der kam, um sie abzuholen. Jemanden, der für sie da war. Jemanden, dem sie wichtig war. Jemanden, der sie liebte. June war schon so lange allein, dass sie sich daran gewöhnt hatte, mit allem allein fertigzuwerden – Verzweiflung und Freude, ein tropfender Wasserhahn, Abend für Abend das Kind ins Bett bringen. Sie wollte jemanden zum Anlehnen. Zum Lieben. Zum Liebemachen.
«Ohne dich hätte ich an diesem Wochenende nur halb so viel Umsatz gemacht, June», sagte Henry, gegen die Küchenzeile gelehnt. «Du hast wirklich Talent, Bücher zu verkaufen. Die Leute merken, dass du meinst, was du sagst, dass du das Buch, das du empfiehlst, tatsächlich liebst, dass dir ein Thema oder die Stimme des Autors wirklich am Herzen liegen.»
June fühlte sich geschmeichelt. «Einer der Vorteile, seine Samstagabende allein zu verbringen, sind die vielen guten Bücher, die man dann lesen kann.»
Henry stellte sein volles Champagnerglas beiseite und machte sich ein Bier auf. Das war schon eher sein Stil. June sah ihm dabei zu, beobachtete, wie er die Flasche zum Toast erhob, wie er einen Schluck trank, den Kopf in den Nacken legte, sodass die haselnussbraunen, gold gesträhnten Haare seinen Nacken berührten. Er sah wirklich sehr gut aus! Ganz der Typ einsamer Wolf. Und so … so sexy. Doch sobald June sich vorstellte, Henry Books zu küssen, verwandelte er sich in einen blassen Zwanzigjährigen mit schwarzen Haaren und grünen Augen.
Wenn nicht mal Henry Books in der Lage war, John aus ihrem Herzen zu vertreiben, dann kam sie vielleicht nie von ihm los. Ihr Herz gehörte immer noch einem Typen, der sie nicht gewollt hatte, der sie einfach hatte sitzenlassen. Und der trotzdem ständig in ihrem Sohn präsent blieb. Wie sollte sie ihn da je loslassen?
Henry stellte die Flasche weg und sah sie mit seinen Clint-Eastwood-Augen durchdringend an.
Hilf mir, ihn loszulassen
, dachte sie, ohne seinem Blick auszuweichen.
Hier stehen wir beide, ganz allein. Jahre unausgesprochener Anziehung zwischen uns.
Es sei denn, sie machte sich etwas vor. Es sei denn, sie hatte Henrys Blicke schon immer falsch interpretiert. Aber etwas in seinem Blick sagte ihr, dass er überlegte, über etwas nachdachte, das mit ihr zu tun hatte. Vielleicht, sie in seine Arme zu reißen und ins Bett zu tragen?
Was denkst du, Henry Books?
Dass sie sich lieben sollten, gleich jetzt, hier, auf seinem Boot?
Oder war sie für ihn doch nur die gute, alte June, das kleine Mädchen, das ihn nun wirklich nicht interessierte? Sie wünschte, sie wüsste es. Sie wünschte, sie hätte den Mut, von diesem Hocker zu steigen, auf dem sie mit einer halben Pobacke saß, zu ihm zu gehen und ihn direkt auf den Mund zu küssen.
«Ach wie nett, ihr habt’s ja gemütlich hier!»
June fuhr herum, und da stand sie: Vanessa Gull. June hatte wie üblich die Realität einfach ausgeblendet und
die Freundin
vergessen. Vollkommen. Einen Moment lang war sie so erschrocken über Vanessas Anwesenheit, dass sie nicht in der Lage war, sich zu bewegen. Vanessa stand in ihrer Sommeruniform aus Kleidchen und Chuck Taylors vor ihnen und starrte sie feindselig an.
«Wir haben nur auf den Superumsatz eines langen Wochenendes angestoßen», sagte June schnell.
«Na klar!» Vanessas dunkle Augen funkelten zornig. «Henry, warum gibst du es nicht einfach
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