Der Sommer der Frauen
Griffin hingezogen fühlte, war sie doch noch nicht bereit, die Hände eines Fremden auf sich zu spüren. Das hinderte sie nicht daran, sehnsüchtig auf den allabendlichen Anruf zu warten, und sie hielt jedes Mal beinahe die Luft an, wenn das Handy klingelte. Sie hatte ihm erzählt, dass sie ehrenamtlich auf der Neugeborenen-Intensivstation anfangen würde, und er hatte ihr gesagt, wie wunderbar er das fände, und dass Emmy nach ihrer Geburt zwei Wochen lang dort gelegen habe, ehe sie kräftig genug war, um nach Hause zu kommen. Griffin war jeden Tag dreimal ins Krankenhaus gefahren, um seine Tochter zu besuchen, morgens, mittags und abends, und jeden Tag zu Mittag hatte dieselbe nette ehrenamtliche Helferin, eine ältere, großmütterliche Dame namens Ernabelle, Emmy auf dem Arm gehalten und gewiegt. So war Emmy zu ihrem zweiten Vornamen, Belle, gekommen.
Als er Isabel diese Geschichte erzählte, wurde ihr plötzlich klar, dass sie sich – ob sie nun bereit für etwas Neues war oder nicht – ernsthaft in ihn verliebt hatte, auf unwiderrufliche Weise.
Am Nachmittag wollte er vorbeikommen, um mit Happy zu trainieren. «Ich gebe es zu. Eigentlich komme ich, um
dich
wiederzusehen», hatte er gesagt, und ihr war ganz warm geworden.
Nachdem Chloe ihr Fläschchen ausgetrunken hatte, ließ Isabel sie aufstoßen, so wie sie es gelernt hatte, das Spucktuch über der Schulter. Dann legte sie sich die Kleine wieder im Arm zurecht und wiegte sie sacht. Die hölzernen Kufen des Schaukelstuhls quietschten leise. Isabel summte ein Schlaflied, dessen Text sie vergessen hatte. Sie hatte eines Abends gehört, wie June es Charlie vorsang. Chloes Äuglein fielen zu, öffneten sich noch einmal einen Spalt und schlossen sich wieder.
«Du bist ein wunderschönes, starkes kleines Mädchen», flüsterte Isabel ihr zu und legte sie zurück in den Inkubator.
Während sie darauf wartete, dass die vier Tage alte Eva erwachte, sortierte Isabel die Windeln, bis die Schwester zu ihr kam und sie bat, ein Neugeborenes zu wiegen, dessen Eltern erst um drei Uhr kommen konnten. Isabel sprang auf und eilte quer durch den Saal hinüber zu einem unglaublich winzigen Frühchen. Der Junge war überall verkabelt. Die Säuglingsschwester nahm ihn aus dem Bettchen und legte ihn Isabel behutsam in den Arm. Isabel setzte sich in den Stuhl neben seinem Inkubator, wiegte sachte vor und zurück, summte ihr Schlaflied und verspürte einen Frieden in sich wie noch nie in ihrem Leben.
*****
Es war kurz vor vier, gleich würde Griffin kommen, und die Pension war auf Vordermann. Isabel hatte die Website auf den neusten Stand gebracht und war im Haushaltswarenladen gewesen, um für das Rotkehlchenzimmer einen neuen Türknauf zu besorgen. Die Rechnungsbücher waren aktualisiert, sämtliche Kalender mit den neuesten An- und Abreisedaten synchronisiert und die zahlreichen Pflanzen gegossen.
Es macht einen glücklich, das Leben im Griff zu haben
, dachte Isabel. Sie hatte nie viel Leben gehabt, das in den Griff bekommen werden musste, und diese neue Zielgerichtetheit, all diese konkreten Aufgaben taten ihr gut.
Happy lag auf dem Rücken auf einem Fleckchen Sonnenlicht, eine quietschende Gummiratte im Maul. Griffin hatte in der Woche, in der er im Three Captains’ Inn zu Gast gewesen war, wahre Wunder bewirkt und den Hund in ein wohlerzogenes Haustier verwandelt, auch wenn Happy immer noch der Schalk im Nacken saß. Auch Lolly mochte ihn und genoss es, wenn er sich abends, während sie las, neben ihr zusammenrollte. Isabel ging jeden Tag mit ihm spazieren und spielte und kuschelte mit ihm, sooft sie konnte, aber vor allem hatte ihr Neffe den Hund für sich reklamiert, und Isabel gönnte es ihm von Herzen. Sie hatte nichts dagegen, Happy zu teilen.
Als sie Griffin und seine Töchter auf dem Pfad zur Haustür entdeckte, durchfuhr sie von den Zehenspitzen bis hinauf in die Magengrube ein freudiger Schauder. Überall in ihr zappelten glücklich-nervöse Schmetterlinge. Im Grunde konnte sie nicht fassen, wie sehr sie sich zu Griffin hingezogen fühlte. Natürlich hatte sie auch früher schon manchmal andere Männer attraktiv gefunden, gemerkt, wenn jemand besonders gut aussah und auch mal für den ein oder anderen Filmstar geschwärmt, aber noch nie war es so konkret gewesen wie jetzt:
Ich würde dich gern küssen und das darf ich auch, weil ich zum ersten Mal, seit ich sechzehn Jahre alt war, frei bin
.
Alexa trug ihre unverzichtbaren Ohrstöpsel, den iPod an die
Weitere Kostenlose Bücher