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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hueltner
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schwarz geränderten Nägel seiner linken Hand krallten sich über Babetts Mund und Nase, um sie am Schreien zu hindern. Mit der Rechten zupfte und zerrte er wie von Sinnen abwechselnd an ihrem Hemd und am Verschluss seiner Hose. Als er die Stimme der Köchin Sali hörte, war ihm, als riesele Gletscherwasser über seinen Rücken. Er erstarrte.»Wirt!?«, krähte es erneut von der Tenne des Gasthofs herauf. »Gäst sind kommen! – Wirt! Wo bist denn?!«
    Kolber wuchtete sich auf und stopfte mit fliegenden Bewegungen sein Hemd in den Bund.
    »Jaaa ! «, brüllte er, wobei er sich bemühte, seiner Stimme den gewohnten Klang zu geben – mürrisch und grob, sich Belästigung durch vorlautes Gesinde verbittend. »Komm gleich!«
    Er presste einen Fluch durch die Zähne. An der Luke angekommen, drehte er sich noch einmal um, machte zwei schnelle Schritte auf Babett zu und beugte sich nah an ihr Gesicht.
    »Kein Wort! Hast mich verstanden? Kein Wort! Zu keinem! Sonst –«
    Er richtete sich auf und strich mit der Hand über seinen beinahe kahlen, verschwitzten Schädel, noch immer schwer atmend. Plötzlich verzog er den Mund zu einem fauligen Lächeln, als habe er sich dazu entschlossen, ihr gnädig zu verzeihen, wozu sie ihn gebracht hatte.
    »– sonst gehts dir nimmer gut bei mir«, sagte er wie jemand, den ein naher Mensch um einen gut gemeinten Rat gebeten hatte. Seine Augen aber funkelten heimtückischer denn je, und sie ließen keinen Zweifel daran, was er wirklich dachte: Ein dreckiger, verhurter Fetzen bist du. Dir werd ichs heimzahlen, sich mir – dem Kolber!, deinem Herrn vor dem Gesetz! – zu verweigern. Dann verschwand er in der Luke.
    »Komm ja schon!«, hörte Babett noch.
    Sie lauschte den sich entfernenden Schritten, konnte noch hören, wie er Rotz in die Nase zog, röchelnd Spucke sammelte und sie auf den Steinboden platschen ließ.
    Sie bewegte sich eine Weile nicht. Von fern hörte sie den anwachsenden Lärm vor dem Gasthof, das Hufeklappern der in den Wirtschaftshof geführten Pferde, das Gewirr fremder Stimmen, und immer wieder Kolbers wichtigtuerische Befehle.
    Babett richtete sich auf, robbte auf Knien zu ihrem Kopftuch, band es sich um und verstaute ihre Haare darunter.
    Auf ihren Fersen sitzend, lehnte sie sich an die Wand. Siewischte sich über die Lippen, an denen noch der säuerliche Geruch von Kolbers Fingerzinken haftete. Langsam löste sich der Schleier vor ihren Augen. Sie folgten einer Fliege, die, das Licht suchend, gegen die staubtrübe Scheibe einer kleinen Fensterluke anrannte, wieder und wieder, und sich schließlich ermattet auf einer staubigen Sprosse niederließ.
    Babetts Puls beruhigte sich. Noch krampften ihre Eingeweide von der erlittenen Demütigung und dem Gefühl der Ausweglosigkeit. Doch auch dieser Schmerz klang ab. Er wich kalter Nüchternheit.
    War es vernünftig, wie sie sich verhielt? Keine Frage war, dass sie den Kolber nie lieben, nie auch nur achten können würde. Er war fett und hässlich, er war ein Schwein, verlogen bis auf die Knochen. Keine Lüge von ihm jedoch war, dass er sie begehrte. Und er war – noch, und womöglich noch für etliche Jahre – ihr Herr. Der ihr Arbeit, Unterkunft und Verpflegung gewährte, und den daher das Gesetz mit dem Recht versehen hatte, ihr Leben bis in privateste Details zu regeln. Er konnte bestimmen, wann und wie lange sie zu arbeiten hatte, ob sie sich – und wozu überhaupt? – vom Hof entfernte, wann sie zum Tanz gehen durfte und wann nicht, wann sie in ihrer Kammer zu liegen hatte. Es stand ihm zu, sie zu züchtigen, wenn er es für erforderlich hielt.
    Natürlich, sie war nicht angekettet. Sie könnte einfach davonlaufen. Nur – wohin sollte sie gehen? Das winzige Gut ihrer herzensguten, aber dem Leben nicht gewachsenen und früh verstorbenen Eltern gab es nicht mehr. Nur drei von acht Geschwistern hatten das Erwachsenenalter erreicht, die anderen waren schon als Säuglinge gestorben. Es war der Kolber gewesen, der das Gut gnädig übernommen und so die Erben von der nachgelassenen Schuldenlast befreit hatte.
    Sollte sie Kolber nicht doch nachgeben? Sie wäre bei weitem nicht die Einzige; es war ein offenes Geheimnis im Dorf, dass in etlichen großen Höfen derartige Verhältnisse existierten. Es wäre ja auch jeweils nur eine Sache von ein paar unappetitlichenMinuten, und was war in einem Betrieb wie dem des Kolber schon sonderlich appetitlich? Das Umschichten des Misthaufens, das Abschaufeln des Plumps-Aborts, wenn

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