Der Sommer der Gaukler
gesprochen. Schikaneder schauderte. Hatten die Menschen des Mittelalters hier ihre Toten begraben?
Über dem Dorf unter ihm, einer Ansammlung von kaum mehrals zwei Dutzend größerer und kleinerer Gebäude, die sich um eine klobige Barockkirche scharten, flimmerte eine bewegungslose Staubwolke. Eigentlich ein hübscher Ort – vermutlich war das trübe Wetter daran schuld gewesen, dass er zunächst einen eher tristen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Gut möglich war aber auch, dass ihm wie den anderen noch der Schreck und die Aufregung in den Gliedern steckten – nach dem, was sie zuvor auf dem Jochenpass erlebt hatten.
Kaum hatten sie die vorderste Kutsche aus dem Schlammloch befreit, hatte das Gewitter eingesetzt. Es goss wie aus Kübeln. Der Sturm peitschte die Wolken gegen den Pass. Die Pferde scheuten vor den krachenden Blitzen und waren schließlich am Ende ihrer Kräfte, und alles Brüllen und Peitschen war vergeblich. Die Männer hatten schließlich ihre Wagen verlassen und die Kutschen schieben müssen. Der Morast war nahezu grundlos, die Straße war kaum mehr zu sehen, und neben den Männern, die im bohrenden Regen durch den Schlamm wateten, brodelten Sturzbäche in die Tiefe. Die Erde bebte; mit einem Furcht erregenden Grollen, als hätten sich in den Höhen polternd Steinlawinen gelöst, rollte der Donner heran, prallte an die Felswände und vervielfachte sein ohrenbetäubendes Getöse.
Die Männer hatten bereits jedes Zeitgefühl verloren, als sich die Steigung mit einem Mal verringerte. Die Passhöhe musste vor ihnen liegen. Plötzlich blieb der vorderste Wagen stehen. Die Männer stemmten sich stöhnend ein, pressten sich gegen die Kutschwand, suchten verzweifelt Stand, glitten aus, brüllten nach vorne.
Warum ließ sich die verfluchte Chaise auf einmal nicht mehr bewegen? Kutscher!!
Dann sahen sie den Grund. Schemen tauchten aus dem Nebel auf. Sie bewegten sich auf sie zu, gestikulierten wie verrückt, brüllten aus vollem Halse. Was, war nicht zu verstehen.
»Räuber...«, flüsterte der Kutscher des ersten Wagens. Er griff hinter sich, tastete nach seinem Knüppel. Der Bühnenarbeiter Bartholomäus, ein Herkules von Gestalt, griff unterseinen Umhang und umfasste den Griff seines Messers. Seine Augen wurden zu Schlitzen. Seine Kinnladen knackten. Wie viele waren es? Waren sie bewaffnet? Womit? Sein Körper spannte sich. Sollten sie nur kommen.
»Was ist los?!«, hörte er Schikaneders Stimme hinter sich. Bartholomäus antwortete nicht, denn gerade flammte wieder ein greller Blitz den Himmel, gefolgt von wummerndem Donner. Die Pferde wieherten angstvoll, stiegen panisch auf und drohten auszubrechen. Der Kutscher stemmte sich mit einem Ruck gegen den Kutschbock, riss rücksichtslos an den Zügeln, brüllte sein ›Eha! Eha!‹ gegen den Sturm, rief Teufel und Engel zu Hilfe und verfluchte sie zugleich, tobte, spuckte und zerrte, dass seine Schläfenadern zu platzen drohten, bis sich die Tiere wieder fügten.
Bartholomäus starrte nach vorne.
Eine wüste Horde schälte sich aus dem Nebel. Es war ein halbes Dutzend Männer, die zerlumpte Kleidung vor Nässe schwarz, über und über mit Schlamm beschmiert. Nun war zu hören, was sie schrien.
»Zu Hilf! Zu Hilf!«
Der Kutscher sank erleichtert auf seinen Bock zurück. Erst jetzt bemerkte er, dass Schikaneder neben ihm stand, seinen läppischen Galanteriedegen in der Hand.
Kurze Zeit später war alles klar. Keine Räuber – Bergknappen waren es, aus einem Grubenrevier oberhalb des Passes. Ein Stollen war eingestürzt. Der Großteil der Arbeiter habe sich in letzter Sekunde retten können, doch zwei Männer waren verletzt und mussten sofort ins Tal gebracht werden.
Mehr als vier Personen konnten nicht in die ohnehin beengten Wagen gepfercht werden. Zwei der Musiker mussten sich in die erste Kutsche quetschen. Die Insassen des Orchesterwagens rückten wortlos zusammen und packten mit an, die beiden Verletzten emporzuwuchten und auf den Wagenboden zu legen.
Ächzend hatte sich die Kolonne wieder in Bewegung gesetzt. Nach etwa zwei Stunden rumpelnder Fahrt – das Gewitter hattesich nach und nach abgeschwächt – erreichten sie die ersten Häuser. Schikaneder taxierte den Ort: Er hatte eine respektable Kirche, also würde es auch einen Gasthof geben. Dieser jedoch würde nicht »Schwarzer Adler«, »Goldener Löwe« oder »Grüne Gans« heißen, sondern schlicht »Zur Post«. Und so war es auch.
Der Postwirt schien ein wenig aufgekratzt, zeigte
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