Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
Exil schicken?«
»Dein Widerstand gegen die Burg zwingt mich zu diesem Schritt. Reston liegt ganz in der Nähe, und der gute Dr. Lawson kann schnell zur Hand sein. Außerdem sind Manchester und York nur eine halbe Tagesreise entfernt, wenn schwierigere Behandlungen nötig sind.«
»Aber wir haben mehr als ein halbes Dutzend andere Ländereien, auf die wir uns zurückziehen können«, wandte Jane ein.
»Aber nichts ist so einleuchtend wie eine Reise zur Hütte. Wir haben dort viele Sommer verbracht. Nun, und jetzt haben wir Sommer. Niemand würde es merkwürdig finden, dass du dorthin fährst«, überlegte Jason laut, und seine Argumente klangen, verflucht noch mal, ziemlich vernünftig. »Ein kurzer Rückzug aufs Land. Die Etikette ist dort übrigens nicht so streng wie hier …«
»Für dich vielleicht nicht«, brummte Jane.
»Und«, Jason schenkte ihr keine Beachtung, »Vater hat es immer geliebt, an den See zu fahren. Es wird ihn glücklich stimmen.«
Jane wusste, dass sie ihrem Bruder nicht mehr entkommen konnte. Ihr Vater hatte die Aufenthalte im Cottage tatsächlich immer geliebt. Das kleine Anwesen hatte zur Mitgift ihrer Mutter gehört und war immer ganz und gar ihr Haus gewesen; aber nie hatte der Duke sich weniger als Aristokrat und mehr als Mensch gefühlt als in der Zeit, die er am See verbrachte.
Ja, Jason wusste, dass Jane ihm nicht entkommen konnte. Aber er wusste nicht, dass es sich umgekehrt genauso verhielt.
»In einem wichtigen Punkt liegst du falsch, Jason.« Jane erhob sich, ging würdevoll zur Anrichte und stellte ihr geleertes Glas darauf ab. »Du sagtest, dass niemand es merkwürdig fände, wenn ich zum Cottage fahren würde.«
»Das wird auch niemand«, erwiderte Jason. »Vier Wochen weiter wird die Hälfte der Gesellschaft die Stadt verlassen haben, um die süßere Landluft zu schnuppern. Du reist einfach nur ein wenig früher ab.« Jason zog die Brauen hoch. »Jane, ich kenne dich ganz genau. Es wird dir nicht gelingen, dich vor deiner Pflicht zu drücken. So lange war ich nun auch wieder nicht fort, als dass ich mich darüber irren könnte.«
Jane beugte sich zu ihrem Bruder herunter, der es sich in seinem Sessel und in seiner Überlegenheit bequem gemacht hatte.
»Nein, darüber nicht. Aber dein Irrtum war, von der Einzahl zu sprechen.« Sie lächelte katzengleich, als ihr Bruder sie irritiert anschaute. »Ich bin sicher, dass du nicht nur mich gemeint hast, sondern uns .«
3
»Das Cottage? Bist du dir sicher, Minnie?«
Victoria Wilton hielt mit einer Hand ihre Röcke gerafft, damit sie nicht nass wurden, während sie mit der anderen eine besonders störrische Pfefferminzpflanze aus dem Boden zog. Die Minze wuchs wild am Ufer des Broadmill Rivers, der durch den kleinen Park des Anwesens der Wiltons floss, und sie brauchte sie für das Minzgelee, das sie und ihre Mutter heute Nachmittag einkochen wollten. Aber plötzlich galt ihre ganze Aufmerksamkeit Minnie, der stämmigen Haushälterin der Wiltons.
»Ja, Miss Victoria«, erwiderte die Haushälterin, die aufgeregt einen Zipfel ihrer groben Musselinschürze knetete. »Der Metzger hat es direkt von der Haushälterin des Dukes. Sie hat gesagt, dass der Bote sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen hat, um ihr die Nachricht zu bringen. Der Reiter hat gesagt, dass man ihm das Doppelte der üblichen Bezahlung gegeben hat, damit er sich besonders beeilt, herzukommen.« Eingedenk dieser Geldverschwendung zog Minnie die Brauen hoch.
Aber es war nicht das Geld, das Victorias Herz flattern ließ wie die Flügel eines Kolibris. »Du meine Güte, das kann nur heißen, dass sie bald hier eintreffen.« Victoria ließ ihre Röcke fallen und fuhr sich mit der Hand über die blonden Locken. Erst seit letztem Jahr trug sie ihr Haar hochgesteckt. In der warmen Sonne fand sie es durchaus angenehm, dass sie es aus dem Nacken hatte – aber wenn sie nervös war, ertappte sie sich noch immer dabei, dass sie sich die Locken um den Finger zwirbeln wollte, wie sie es als Kind getan hatte.
Jetzt stand sie reglos da und konzentrierte sich auf die nächste Frage.
»Vielleicht hat der Duke das Cottage den Sommer über vermietet?«
Aber Minnie schüttelte den Kopf. »Nein, Miss Victoria. Die Haushälterin hat gesagt, dass Lady Jane ihr den Brief geschrieben hat. Endlich verbringt die Familie den Sommer wieder hier!«
Lady Jane! Victoria hatte Lady Jane seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen, nicht seit sie fast dreizehn und Lady Jane
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