Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
beruhigend die Hand.
»Es gibt ganz wunderbare Neuigkeiten! Jason kehrt nach Reston zurück, und ich brauche dringend ein neues Kleid!« Victorias Augen funkelten vergnügt, als sie halb hüpfend, halb springend den Weg zum Haus entlanglief – mit einem verblüfften Dr. Berridge und einer immer noch atemlosen Minnie im Schlepptau.
Dr. Berridge betrachtete den kleinen Wildblumenstrauß in seiner Hand. »Minnie«, sagte er so unvermutet, dass die Haushälterin vor Schreck zusammenfuhr, »wären Sie bitte so freundlich, mir zu erläutern, wer dieser Jason ist?«
4
Schon immer hatte Jane Erpressung als bemerkenswert nützlich erachtet. Sie machte es ihr möglich, mit geringem Aufwand das zu erreichen, was sie wollte, ohne dass – jedenfalls im Allgemeinen – einem der Beteiligten Schaden zugefügt wurde.
Selbstverständlich ging sie dabei keinesfalls herzlos vor. Für das Geld anderer Leute hatte sie keine Verwendung, und sie empfand auch keine Freude daran, jemanden zu erniedrigen. Wenn der Zweck es jedoch erforderte, heiligte Jane viele Mittel.
Jason würde ihrer Philosophie höchstwahrscheinlich widersprechen. Als ständiges Erpressungsopfer seiner Schwester würde er behaupten, dass sie ganz gewiss eine perverse Freude daran hatte, ihn ihrem Willen zu unterwerfen.
Das könnte wahr sein, dachte Jane selbstgefällig. Allerdings würde sie das niemals laut zugeben. Und überhaupt – wenn man sie auf dem Höhepunkt der Londoner Saison zu dieser elenden Reise in den Lake District zwang – dorthin, wo es keine Menschenseele gab, die zu kennen sich lohnte –, dann wollte sie verdammt sein, wenn sie nicht auf einer Begleitung bestünde.
Jane beugte sich vor und schob den schweren Fenstervorhang zur Seite. Ihr Blick fiel sofort auf Midas, Jasons herrliches goldbraunes Pferd, das neben der Kutsche hertrabte. Der muntere Trab strafte die Laune seines Reiters allerdings Lügen – denn auf seinem Rücken saß ein mürrisch dreinschauender Jason.
Das wird ihn lehren, wie gefährlich es ist, mich dort allein zu lassen, wo er seine Siebensachen aufbewahrt, dachte sie triumphierend.
Vor drei Tagen war ihr Bruder noch nicht so fügsam wie jetzt gewesen.
Jane hatte an ihrem Sekretär gesessen, um an die Gastgeberinnen zu schreiben, deren Einladungen abzulehnen sie sich nun gezwungen sah. Sie tat das mit großem Bedauern, wobei ihr die Nachricht an Phillippa besonders schwerfiel. Ihre Freundschaft hatte einen so merkwürdigen Verlauf genommen, dass sie in verschiedene Phasen eingeteilt werden konnte. Sie hatten sich während ihrer Schulzeit kennengelernt und waren enge Freundinnen geworden. Damals war Jane noch ein klapperdürres Ding gewesen. Dann war das Jahr gekommen, in dem sie dreizehn geworden war. Sie war körperlich voll entwickelt, als sie nach den Ferien in die Schule zurückgekehrt war. Sie war von dieser Verwandlung, die mit ihr vorgegangen war, wie berauscht gewesen. Und das hatte dazu geführt, dass sich zwischen ihr und Phillippa alles verändert hatte. Und jetzt, viele Jahre später und nach tragischen Geschehnissen sowohl in ihrer als auch in Phillippas Familie, sorgte das Erwachsensein dafür, dass sie wieder wie vernünftige Menschen miteinander umgingen.
Komische Sache, das Erwachsenwerden.
Immerhin hatte sie es erreicht, dass Jason sie auf dieser Reise begleitete.
»Ich habe diese Briefe geschrieben, als ich sechzehn war!«, hatte Jason gesagt. Die Adern in seinem Nacken waren hervorgetreten wie die knorrigen Wurzeln eines Baumes, als er sich über Janes Schreibtisch gebeugt hatte und sein Bestes gab, einschüchternd zu wirken. Jane hatte nur gelächelt und sich wieder ihrer Korrespondenz zugewandt.
Es dauerte schon viel länger, als es Jason recht war, eine qualifizierte Krankenschwester zu engagieren und das Haus in London zu schließen, um zum Cottage aufbrechen zu können. Daher nutzte er die Gelegenheit, sich noch einmal über die Methode zu beklagen, mit der seine Schwester ihn gezwungen hatte, ihn zu begleiten.
»Ja, das ist wohl wahr«, erwiderte Jane gelassen, »deine Worte triefen nur so vor jugendlichen Gefühlen.«
»Verdammt noch mal, Jane, das sind meine Briefe! Du hast kein Recht auf sie«, brummte er.
Jane hätte ihm darauf die Antwort geben können, die sie ihm in den vergangenen drei Tagen schon wiederholte Male gegeben hatte. Wenn Jason nicht gewollt hatte, dass die Briefe, die er mit sechzehn geschrieben hatte, entdeckt wurden, hätte er sie nicht in seinem Zimmer auf der
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