Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
Wieder antwortete niemand.
Jane war mittlerweile bewusst geworden, wie heikel die Sache war. Was, wenn er ihr aus dem Weg gehen wollte? Was, wenn er wusste, dass sie vor der Tür stand, er sie aber nicht sehen wollte? Trotzdem – sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, zum Cottage zurückzukehren, ohne ihm zu sagen … ohne ihn zu sehen …
»Jane?« Sie drehte sich um. Byrne stand hinter ihr, immer noch im Mantel, den Stock in der Hand.
Erleichtert fing sie an zu lachen. »Du hast also den Weg am Bach entlanggenommen, den langen Weg um den See?«, fragte sie atemlos.
»Ja«, erwiderte er, »und du den Weg durch den Wald.«
Sie nickte und lächelte, ihr Atem ging immer noch schwer, weil sie gerannt war – und deshalb vor ihm angekommen war.
»Was machst du hier?«, fragte er, während er die Stufen erklomm und vor ihr stehen blieb. Seine Miene wirkte verschlossen, als er zu ihr hinunterschaute. Ihr Mund wurde trocken. Den ganzen Tag über war sie ihm nicht so nahe gewesen … plötzlich wünschte Jane nichts sehnlicher, als ihm noch näher zu sein.
»Ich …«, sagte sie, und ihre Stimme klang rau im Wind, »ich bin gekommen, um dir einen Gutenachtkuss zu geben.«
Er trat noch einen Schritt näher und ließ sie auch nicht aus den Augen, als er den Kopf schüttelte. »Nein.«
»Nein?«
Er lächelte, als er sie in die Arme nahm und an sich drückte.
»Nein, noch nicht«, flüsterte er.
23
Es gab Worte, die gesagt werden mussten. Schlichte Worte. Tragende Worte. Worte, die das Leben im Handumdrehen verändern konnten … aber nicht heute Nacht. Denn in dieser Nacht wäre jedes Wort unzulänglich und kitschig. Kein Wort würde ausreichen, um zu beschreiben, was zwischen ihnen existierte. Es gab nur das Tun und das Wollen und die unendliche Weite der Sternendecke über ihnen.
Ihre Blicke waren nur füreinander bestimmt; sie sahen nur sich, nichts sonst. Byrne presste sie an sich, küsste sie aber nicht. Noch nicht. Er schaute sie nur an. Er schaute in das Gesicht der schönsten Frau, die er je gesehen hatte, in ihr Gesicht, das im Licht der Sterne schimmerte. Er sah, wie der Ausdruck in ihren Augen sich veränderte … von Staunen zu Verwirrung und zu Verlangen wechselte.
Unwillkürlich musste er lächeln.
Jane lächelte zurück.
Weil sie begriff.
Ihre Blicke blieben ineinander verfangen, als Byrne die Hand ausstreckte und die Haustür hinter ihr öffnete. Jane hatte nichts zu verlieren. Indem sie zu ihm gekommen war, hatte sie sich ihm preisgegeben. Sie wusste, was geschehen würde, und sie wusste, dass sie es kaum erwarten konnte, dass es endlich geschah. Sie wollte es. Und er wollte es. Dieser Ausdruck in seinen Augen, diese tiefe Konzentration auf sie, dieses fremde und doch unendlich vertraute Gefühl, das Prickeln auf ihrer Haut, dort, wo seine Hand sie berührte und ihre Körper sich aneinanderpressten.
Jane trat einen Schritt zurück in die Dunkelheit des kleinen Hauses. Er folgte ihr, dann ging er ihr voran durch das stockfinstere Wohnzimmer bis zu der Treppe, die hinauf zu seiner Dachkammer führte. Nicht ein einziges Mal ließ sein Blick sie los, es hätte den Zauber zerstört, der beide umfangen hielt.
Byrne blieb stehen und streckte die Hand aus, er berührte ihre Wange, und Jane lehnte sich in seine Berührung. Es war dunkel, aber er musste sie sehen. Er musste sehen, ob diese Gewissheit immer noch in ihren Augen war. Langsam hängte er seinen Stock über das Geländer und löste den Knoten seines Umhangs, der zu Boden fiel. Byrne setzte alles auf eine Karte, als er Jane losließ und die Hand von ihrer Taille nahm. Wenn sie es wünschte, konnte sie jetzt noch umkehren. Auf Distanz gehen.
Sie tat es nicht.
Er griff nach einem Zündholz und riss es an. Für den Bruchteil einer Sekunde erhellte die Flamme ihre Augen. Byrne und Jane zuckten beide zurück. Er zündete die Kerze an, die auf einem kleinen Regal an der Wand stand, was nützlich war, wenn man des Nachts die Stufen nach oben finden wollte – und auch jetzt. Die Kerze brannte zwischen ihnen, Byrne suchte Janes Blick – und erschrak.
Denn selbst im Kerzenlicht war es zu dunkel. Ihre Augen waren zu dunkel, die Nacht zu dunkel, der Raum zu dunkel, um zu lesen, was sie wahrhaft empfand. Er sah nur, dass sie die Augen weit aufgerissen hatte. Verwundbar. Aufmerksam.
Ruhig.
Sie nahm ihm die Kerze aus der Hand. Als Antwort auf tausend unausgesprochene Fragen und auf die eine ganz besondere sah sie ihn unverwandt an, als sie
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