Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
keck, dann wies sie mit einem Kopfnicken dorthin, wo Jason mit Penelope stand.
»Ich muss Ihnen gestehen, dass ich meine Frau förmlich anbete«, sagte Brandon. Ihm stieg schon die Röte ins Gesicht, wenn er nur in ihre Richtung schaute. »Aber dass sie aus einer Familie stammt, die ich ebenso verehre, betrachte ich als unvorhergesehenen Glücksfall.«
»Hatten Sie keine Schwester?«
»Leider nein. Hätte ich geahnt, dass es so viel Spaß macht, sie zu necken, hätte ich mir eine gewünscht.«
»Ja, in dieser Hinsicht können wir sehr von Nutzen sein«, scherzte Jane und ergriff Mr Brandons Arm. »Kommen Sie. Ich stelle Sie meinem Bruder vor, dann können Sie ihn fragen, welches die beste Methode ist, kleine Schwestern zu quälen.«
Die Musiker spielten ein beliebtes Menuett. Victoria ertappte sich dabei, wie sie die Melodie mitsummte, während Dr. Berridge – Andrew – sie formvollendet über das Parkett führte. Diese wenigen Minuten boten ihr eine willkommene Erholung von ihrer Familie. In den letzten Tagen war ihre Mutter wieder so überaus besorgt gewesen. Ständig hatte sie sich vergewissert, dass ihre Tochter wusste, mit welchen Gentlemen sie auf dem Fest zu tanzen hatte. Der Zofe hatte sie aufgetragen, das Tanzkleid nochmals aufzubügeln, und sie hatte das Haus für Mr Brandons Besuch vorbereiten lassen. Auf dem Fest nun war es kaum besser, denn Lady Wilton führte penibel eine Liste, auf der sie alle angenehmen Aspekte des Abends den unangenehmen gegenüberstellte.
Einer dieser positiven beziehungsweise negativen Aspekte, den ihre Mutter allerdings nicht auf ihrer Liste vermerkte, war, dass Jason um Penelope herumscharwenzelte.
Victoria war nicht klar, was ihre Mutter von Jason hielt. Einerseits hieß sie ihn willkommen und wollte die Verbindung ihrer und seiner Familie offensichtlich nicht abreißen lassen. Andererseits machte sie keinerlei Anstalten, ihm Victoria anzupreisen, die noch zu haben war. In Victorias Augen eine verpasste Chance, die Lady Wilton ungenutzt verstreichen ließ.
»Sie sind ja mit Ihren Gedanken ganz woanders«, sagte Dr. Berridge leise an ihrem Ohr, als er Victoria erneut durch eine Drehung führte. »Dabei ist mir gerade versichert worden, dass ich mich auf dem Tanzboden ganz ausgezeichnet schlage.«
Sie errötete. »Das stimmt«, sie lächelte ihn an, »in der Tat habe ich gerade gedacht, was für eine Erholung es ist, mit Ihnen zu tanzen.«
»Wirklich?« Er zog die Augenbrauen hoch und aus seinen Augen sprach eine Verschmitztheit, wie er sie sonst nur selten zeigte.
»Natürlich!« Victoria lachte. »Meine Familie neigt dazu, andere Menschen zu bestürmen … und jetzt, da meine Schwester und ihr Mann und die Kinder da sind …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, als er sie unverwandt anschaute. »Sie sind schon seit Tagen nicht mehr zu uns gekommen. Ich bin überzeugt, dass meinem Vater die Gespräche mit Ihnen fehlen.«
»Ich hatte in Windermere zu tun«, erklärte Dr. Berridge, »das hat mich ferngehalten.« Mit forschendem Blick schaute er auf sie hinunter. Victoria merkte, wie ihr ein Prickeln über den Rücken lief, als sie seinem Blick begegnete; eine seltsame Wärme breitete sich in ihren Wangen aus.
»Und Sie?«, erkundigte er sich mit kaum hörbarer Stimme. »Ist es Ihnen gelungen, sich auch ohne mich zu unterhalten?«
Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken und den leichten Druck seines Daumens. »Ein wenig.« Sie schluckte, denn ihr Mund war plötzlich unerklärlich trocken. »Lady Jane … hat mich besucht … und Mr Brandon lässt keine sich ihm bietende Gelegenheit verstreichen, mich … äh … seinen Spott mit mir zu treiben.«
»Das ist gut. Sie ganz allein zu wissen, würde mir gar nicht gefallen.« Sein Tonfall war leicht und spielerisch.
Nun, allein war sie ganz gewiss nicht gewesen. Wie kann man allein sein, wenn man von so vielen Menschen umgeben ist? Victoria musste sich allerdings auch eingestehen, dass seine beruhigende Anwesenheit im Haus vermisst worden war. Alle waren irgendwie gereizt gewesen; alles war gleichzeitig schrecklich wichtig und fürchterlich banal gewesen. Und um alles musste sich gekümmert werden.
Aber in diesem Augenblick, als Dr. Berridge – nein, Andrew – ihre Hand und ihren Blick festhielt, konnte Victoria sich nicht daran erinnern, um was für Dinge es eigentlich gegangen war.
Glücklicherweise schien er keine Antwort von ihr zu erwarten, denn Victoria wäre gar nicht in der Lage gewesen, etwas zu sagen.
Weitere Kostenlose Bücher