Der Sommer, der nur uns gehoerte
dem ich von einer Vitrine zur nächsten ging. Am besten gefielen mir die gläsernen Einhörner. Ich hätte mir so gern eins gekauft, nur ein ganz kleines, aber selbst das kostete zwölf Dollar, und ich hatte nur zehn. Ich nahm es hoch, stellte es wieder ab, nahm es wieder hoch. Und ohne dass ich es gemerkt hatte, war mehr als eine Stunde vergangen, fast schon zwei. So schnell ich konnte, rannte ich zu den Restaurants, die ihre Tische alle im Gang zwischen den Lokalen hatten. Ich hatte solche Angst, die Jungen könnten schon ohne mich gegangen sein. Als ich ankam, war Conrad nicht da. Jeremiah und Steven saÃen bei Taco Bell und zählten die Bons, die sie an den Automaten gewonnen hatten. »Wo hast du denn gesteckt?«, fragte Steven sauer.
Ich beachtete ihn gar nicht. »Wo ist Conrad?«, fragte ich Jeremiah, noch nach Luft japsend.
»Der ist dich suchen gegangen«, sagte Jeremiah. Dann fragte er Steven: »Sollen wir uns für unsere Bons gleich was kaufen, oder sollen wir sie aufsparen, damit wir nächstes Mal richtig viele haben?«
»Lass uns lieber noch warten«, meinte Steven. »Der Typ hat gesagt, nächste Woche kriegen sie noch mehr Preise.«
Als Conrad kurz danach zurückkam und mich mit einer Eiswaffel bei Jeremiah und Steven sah, sah er richtig wütend aus. »Wo warst du denn?«, brüllte er mich an. »Du solltest um drei hier sein!«
Ich fühlte, wie sich mir die Kehle zusammenschnürte, und ich wusste, gleich würde ich weinen. »Im Glasbläserladen«, flüsterte ich, und Eis tropfte mir auf die Hand.
»Wenn dir was passiert wäre â meine Mom hätte mich umgebracht! Ich bin für euch verantwortlich, hat sie gesagt.«
»Aber da gibtâs so ein Einhorn â¦Â«
»Vergiss es! Du gehst nirgends mehr mit uns hin.«
»Nein, Conrad! Bitte!«, weinte ich und wischte mir mit der klebrigen Hand über die Augen. »Es tut mir leid.«
Er bereute, dass er mich so angebrüllt hatte, das merkte ich. Er setzte sich neben mich und sagte: »Tu das nie wieder, Belly. Von jetzt an bleiben wir zusammen. Okay?«
»Okay«, sagte ich schniefend.
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Zu meinem Geburtstag im August schenkte Conrad mir ein gläsernes Einhorn. Und zwar nicht das kleine, sondern das groÃe zu zwanzig Dollar. Das Horn brach ab, als Steven und Jeremiah mal wieder miteinander rangen, aber ich habe die Figur trotzdem aufbewahrt. Oben auf meiner Kommode blieb sie stehen. Wie hätte ich so ein Geschenk je wegwerfen können?
46
Conrad
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Ich hatte mich bereit erklärt, an diesem Abend den Chauffeur zu spielen. Als wir aufbrachen, hatten die anderen schon einiges an Wein und Bier getrunken und waren ziemlich hinüber.
Wir nahmen den Wagen von diesem Tom oder Redbird oder wie der Typ nun hieÃ; der war am gröÃten. Die Karre hatte praktisch die GröÃe von einem Hummer-Geländewagen. Jere setzte sich auf den Beifahrersitz, die anderen Jungs stiegen hinten ein.
Tom langte zwischen uns hindurch und stellte das Radio an. Er fing an, zur Musik zu rappen, allerdings nicht im Takt und mit völlig falschem Text. Josh machte mit, und Steven öffnete das Verdeck und streckte den Kopf oben raus.
Mit einem Seitenblick auf Jere fragte ich: »Das sind deine Freunde?«
Er lachte nur und fing auch an zu rappen.
In der Bar war es gerammelt voll. Viele Mädchen auf High Heels, mit glattem, seidigem Haar und stark glänzenden Lippen. Redbird fing sofort an, jedes Mädchen, das vorbeikam, anzutanzen, blitzte aber jedes Mal ab.
Ich ging zur Bar, um die erste Runde zu ordern, und Steven kam hinter mir her. Während wir noch warteten, bis der Barkeeper auf uns aufmerksam wurde, schlug Steven mir von hinten auf die Schulter und sagte: »Und wie gehtâs dir mit dieser ganzen Sache?«
»Was meinst du damit? Die Hochzeit?«
»Ja.«
Ich drehte mich weg. »Es ist, was es ist.«
»Glaubst du, es ist ein Fehler?«
Eine Antwort blieb mir erspart, weil uns in diesem Moment endlich der Barkeeper bemerkte. »Fünf doppelte Tequila, ein Newcastle«, sagte ich.
»Trinkst du keinen Kurzen mit uns?«, fragte Steven.
»Einer muss doch auf euch Hohlköpfe aufpassen, schon vergessen?«
Wir trugen die Gläser an den Tisch, an den die anderen sich inzwischen gesetzt hatten. Alle fünf kippten ihren Tequila auf einen Zug runter, dann stand Redbird auf, schlug sich an
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