Der Sommer, der nur uns gehoerte
noch etwas anderes, was in meinem Innersten an mir nagte: tiefes Bedauern. Hätte ich es ihr vor einem Jahr gesagt, vor einem Monat, selbst vor einer Woche, sähen die Dinge dann jetzt anders aus? Es war der Tag vor ihrer Hochzeit. Noch vierundzwanzig Stunden, dann war sie die Frau meines Bruders. Warum hatte ich nur so lange gewartet?
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Ich fuhr eine Weile herum, erst in die Stadt, dann am Wasser entlang, dann nach Hause zurück. Keines der anderen Autos stand in der Einfahrt, daher nahm ich an, dass ich das Haus erst einmal für mich hatte. Doch dann sah ich Taylor auf der Veranda sitzen.
»Wo sind denn die anderen alle?«, fragte ich.
»Ich wünsch dir auch einen guten Tag«, sagte sie und schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf. »Die anderen sind segeln.«
»Wieso bist du nicht mit?«
»Weil ich seekrank werde.« Sie sah mich misstrauisch an. »Ich muss mit dir reden.«
Ich sah sie ebenso misstrauisch an. »Worüber?«
Sie wies auf den Stuhl neben sich. »Komm, setz dich.«
Ich setzte mich.
»Was hast du gestern Abend zu Belly gesagt?«
Ich wich ihrem Blick aus, als ich fragte: »Was hat sie dir gesagt?«
»Nichts. Aber irgendetwas ist mit ihr, das spüre ich. Ihre Augen waren heute Morgen völlig verquollen, und ich würde Gift darauf nehmen, dass sie deinetwegen geweint hat. Wieder einmal. Bravo, Conrad.«
Mir wurde eng ums Herz. »Das geht dich nichts an.«
Taylors Augen funkelten. »Natürlich geht mich das was an. Belly ist meine allerälteste Freundin. Ich warne dich, Conrad: Lass sie in Ruhe. Du verwirrst sie nur. Und nicht zum ersten Mal.«
Ich wollte aufstehen. »Sind wir fertig?«
»Nein. Setz dich verdammt noch mal auf deinen Hintern.«
Ich setzte mich.
»Hast du überhaupt eine Ahnung, wie sehr du sie verletzt hast, immer und immer wieder? Du behandelst sie wie ein Spielzeug, das du dir nimmst, wenn dir gerade mal danach ist. Du bist wie ein kleiner Junge. Jemand hat dir etwas weggenommen, wovon du dachtest, es gehört dir, und das passt dir überhaupt nicht, also brichst du hier ein und machst alles kaputt, bloà aus einer Laune heraus.«
Ich seufzte tief. »So ist es nicht.«
Taylor biss sich auf die Lippe. »Belly hat mir gesagt, dass ein Teil von ihr dich immer lieben wird. Und du willst mir immer noch weismachen, dass dir das egal ist?«
Das hatte sie gesagt? »Das habe ich nie behauptet.«
»Du bist vermutlich der Einzige, der sie davon abhalten könnte, diese Heirat auch durchzuziehen. Aber wenn, dann solltest du dir verdammt sicher sein, dass du sie immer noch willst. Denn wenn nicht, dann ruinierst du das Leben von zwei Leuten ohne jeden Grund.« Sie setzte ihre Sonnenbrille wieder auf. »Versau nicht meiner besten Freundin das Leben, Conrad. Sei kein egoistisches Miststück, dieses eine Mal. Sei der anständige Mensch, für den sie dich hält. Lass sie gehen.«
Sei der anständige Mensch, für den sie dich hält.
Ich hatte gedacht, ich könnte es â um sie kämpfen bis zuletzt, ohne einen Gedanken an andere zu verschwenden. Einfach ihre Hand nehmen und losrennen. Aber wenn ich das täte, wäre das dann nicht der Beweis, dass Belly sich in mir getäuscht hatte? Ich war kein anständiger Mensch. Und dann wäre ich ein egoistisches Miststück, genau wie Taylor gesagt hatte. Aber ich hätte Belly bei mir.
50
Abends aÃen wir alle zusammen in einem erst kürzlich eröffneten Restaurant in der Stadt â meine Eltern, Mr. Fisher und wir jungen Leute. Ich hatte keinen Hunger, bestellte aber wenigstens ein Hummerbrötchen und aà es bis auf den letzten Krümel auf, weil mein Dad bezahlte. Er hatte darauf bestanden. Mein Dad, der zu jedem »besonderen« Anlass dasselbe weiÃe Hemd mit grauen Streifen trug, so auch an diesem Abend. Er saà neben meiner Mutter, die ein marineblaues Hemdblusenkleid trug, und jedes Mal, wenn ich hinübersah, wurde mir ganz warm ums Herz vor lauter Liebe zu den beiden.
Mein Blick wanderte weiter zu Taylor, die sich Mühe gab, Interesse zu heucheln, während mein Vater einen Vortrag über das Nervensystem des Hummers hielt. Anika neben ihr schien hingegen ehrlich interessiert. Auf Anikas anderer Seite saà mein Bruder, der nur die Augen verdrehte.
Conrad saà am Ende des Tisches, bei Jeres Freunden. Ich bemühte mich, nicht in seine Richtung zu schauen,
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