Der Sommer der Schmetterlinge
der Fähigkeit unterordnen, erwiderte Tomás.
Der Hund hatte Alpträume und winselte leise. Clarice stieß ihn behutsam mit dem Fuß an, um ihn von seiner Angst zu befreien, und sagte: Vielleicht ist es umgekehrt.
Endlich hörten sie die ersten schweren Tropfen des Regens fallen, der sich bereits seit dem späten Nachmittag angekündigt hatte.
DIE OFFIZIELLEN VERSIONEN
Rio de Janeiro war sehr feucht. Das war das Erste, was Clarice feststellte, als ihr bewusst wurde, dass sie jetzt in dieser mythischen Stadt lebte, über die sie sich vorher unzählige Illusionen gemacht hatte, die sich alle als falsch erwiesen. Beim ersten Spaziergang durch die Straßen von Flamengo sagte sie zu ihrer Großtante Berenice: Manchmal riecht man das Meer ziemlich stark, oder?
Großtante Berenice lächelte, atmete tief ein und schloss genussvoll die Augen. Ja. Ist das nicht herrlich?
Clarice wollte ihr nicht widersprechen. Deshalb suchte sie die Schuld bei sich selbst: Wahrscheinlich bin ich noch nicht daran gewöhnt. Dass muss es sein. Von dem Geruch wird mir ein bisschen übel. Nur ein bisschen.
Feucht und heiß. Unter ihrem leichten, gänzlich unmodischen Kleid spürte sie den Schweiß: in den Achselhöhlen, zwischen den Brüsten. Sie gingen bis zum Largo do Machado, wo Großtante Berenice Maiskörner für die Tauben kaufte. Dann aßen sie Eis, und auf dem Rückweg nach Hause mussten sie die Schritte beschleunigen, weil ihnen, wie Großtante Berenice sagte, ein betrunkener Bettler folgte. An der Ecke der Rua Almirante Tamandaré gelang es ihnen, den Mann abzuschütteln.
Plötzlich musste Clarice lachen, sie fand das alles ausgesprochenlustig. Kindliche Freude brach durch die gesittete Fassade der Fünfzehnjährigen (ein Alter, das entgegen ihrer Überzeugung kein beliebiges war). Begeistert betrachtete sie die hohen Gebäude, und es gefiel ihr, dass so viele Menschen und Autos auf den Straßen waren. Ihr gefiel sogar die allgegenwärtige Geräuschkulisse – das Gegenteil der Stille auf der Fazenda –, die sich jedoch in dem Maße, wie die Ohren sich daran gewöhnten, gleichfalls in Stille verwandeln konnte. So wurde aus etwas Anwesendem etwas Abwesendes. Es war gut, an diese Möglichkeit zu glauben. Clarice lachte, und bei ihrem Anblick musste auch Großtante Berenice lachen.
Nun hatte Clarice eine Art bescheidenes Atelier. Großtante Berenice stellte ihr einen kleinen Teil des riesigen Wirtschaftsbereichs zur Verfügung, damit sie dort ihre Skulpturen schaffen konnte, und räumte im Dienstmädchenzimmer ein ganzes Regal aus (Das ist alles altes Zeug, Kindchen), wo die Werke trocknen und lagern konnten.
Das Vergessen war noch immer nicht geformt. Es wollte unter Clarices Händen einfach nicht entstehen. Während sie auf ihre Eingebung wartete, beobachtete sie die Katzen von Großtante Berenice und begann mit einer Serie von Katzenskulpturen. Schläfrige, zusammengerollte Katzen, die zu ruhigen, zarten Plastiken wurden.
Manchmal half sie Großtante Berenice in der Küche, wie an jenem Nachmittag, an dem sie das Rezept für hausgemachte Biskuits kennenlernte: 3 Tassen Weizenmehl, 2 Tassen Zucker, Eigelb von 6 Eiern, Eiweiß von 3 Eiern,1 Teelöffel Backpulver . Am Anfang dachte sie viel an Lina, dann immer weniger. Schlagen Sie das Eiweiß zu Schnee, geben Sie das Eigelb und den Zucker dazu, rühren Sie das Ganze kräftig und fügen Sie schließlich das fein gesiebte Mehl mit dem Backpulver hinzu .
An manchen Tagen fegte ein Wind durch die Wohnung in Flamengo, den Clarice von der Fazenda so nicht kannte: Meereswind. Die Fensterscheiben wurden von der Salzluft blind. Und die Dinge verrosteten schneller.
Geben Sie den Teig portionsweise auf ein eingefettetes Kuchenblech und schieben Sie das Blech in den Ofen. Legen Sie nach dem Backen immer zwei Törtchen mit einer Füllung Ihrer Wahl (Karamellcreme, Gelee etc.) übereinander. Stellen Sie mit Wasser eine Glasur aus 250 g Zucker her, bis sich eine dünnflüssige Masse bildet. Tauchen Sie die Biskuits in diese Glasur und lassen Sie sie anschließend trocknen.
Im März kamen die starken Regenfälle, sie schwärzten den Asphalt und ließen die Fußgänger ihre Schritte beschleunigen. Gern sah Clarice die Regenschirme auf der Rua do Catete und der Rua das Laranjeiras tanzen, aber die Pfützen, die sie in den Geschäften, in den Eingangshallen der Gebäude und auf den Holzfußböden der Kirchen hinterließen, fand sie ungeheuer traurig.
Sonntags besuchte sie mit ihrer Großtante
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