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Der Sommer der Schmetterlinge

Der Sommer der Schmetterlinge

Titel: Der Sommer der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lisboa
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verabschiedete er sich mit einem Ciao , das wie Musik klang. Perfekt. Doch Maria Inês erhaschte den Blick, der sie ausschloss, den Blick zwischen Paolo und João Miguel. Und, kaum deutlicher, die Berührung der Hände, die eine Sekunde länger dauerte als nötig und ein bisschen stärker ausfiel als ein gewöhnlicher Händedruck.
    Ein schmerzhafter Stich, nicht mehr.
    Alles hatte lange zuvor angefangen: hübsche junge Mädchen und Männer. Aber es wurde ihr erst in diesem Augenblick bewusst, an diesem angenehmen Spätnachmittag auf dem Markusplatz, und sie fühlte sich nicht ganz unschuldig. Vielleicht wusste João Miguel von ihr. Und Tomás. Dabei hatten sie und Tomás schon aufgehört, sich zu sehen. Vielleicht rächte sich João Miguel nur. Vielleicht. Maria Inês bekam Kopfschmerzen. João Miguel brachte sie auf das Zimmer des Hotels Danieli, damit sie sich ausruhen konnte. Sie redeten nicht (sie redeten nie) über den schönen Paolo, doch Maria Inês wusste, dass ihr Ehemann sich mit ihm treffen würde, als er sagte: Ich gehe noch eine Runde spazieren, der Abend ist so angenehm.
    Meine Schuld, dachte sie.
    Siebzehn Jahre danach stellte sie fest, dass sich ihre Hände am Lenkrad nicht mehr so verkrampften. Traurig summte sie eine Melodie vor sich hin. Eduarda sah sie verwundert an, denn im Auto lief andere Musik. Maria Inês summte ihre Melodie jedoch unbeirrt zu Ende. Dann fragte sie: Hast du schon mal von einem Komponisten mit Namen Charles Ives gehört? Eduarda schüttelte den Kopf und wandte sich wieder ihrer Zeitschrift zu, wo sie offenbar etwas las, was sie interessanter fand als Charles Ives. Maria Inês fühlte sich nicht gekränkt. Im Gegenteil. Sie erlebte gerade eine besondere Form der Einsamkeit, halb Fieber und halb Liebe, in der ihre tiefsten Zweifel ans Licht drängten. Nach siebzehn Jahren.
    Sie sah die Bäume auf beiden Seiten der Straße vorbeihuschen.Sie wusste, dass sie nur die Klimaanlage ausschalten und das Fenster öffnen musste, um von draußen das zirpende Geräusch der Zikaden zu hören. Dann dachte sie an Tomás.
    Er war erst viel später auf die Fazenda gekommen. Otacília war tot. Afonso Olímpio war tot. Beide existierten nur noch als Namen auf einem Grabstein auf dem Friedhof von Jabuticabais. Clarices aufgeschnittene Pulsadern waren wieder verheilt. Maria Inês hatte ihre Ausbildung zur Ärztin abgeschlossen und ihre Tochter zur Welt gebracht. Alle Dinge schienen eine endgültige Gestalt anzunehmen, Staub sammelte sich an, Moos breitete sich aus, und auf allem lastete das Schweigen wie ein Urteil. Er selbst, Tomás, hatte sich schon mit seiner Karriere als mittelmäßiger Künstler abgefunden, der niemals in vornehmen Galerien, auf Biennalen, Ausstellungen und Retrospektiven in Erscheinung treten würde. Auch seine Eltern lebten nicht mehr, sie waren mit dem Ende der Militärdiktatur aus Chile zurückgekehrt und wenige Jahre später ruhig und wunschlos gestorben. Sie hatten lange genug gelebt, um sich für Diretas-já einzusetzen, die Kampagne für die Direktwahl des Präsidenten, und schließlich 1989 an der Abstimmung teilzunehmen. Sie waren zeit ihres Lebens Kommunisten gewesen, und sie starben als Kommunisten. Und Tomás, der sich nie politisch engagiert hatte, ertappte sich dabei, wie er an jenem 15. November für den Kandidaten der Kommunistischen Partei stimmte. Jetzt fiel es ihm wieder ein.
    Anschließend hatte er den Mietvertrag für das kleine Apartment in Lapa gekündigt, in dem er damals wohnte. Es folgte die Zeit seiner Reisen.
    Seine Reisen ins Landesinnere, die doch nie ausreichten, um seine Heimat vollständig kennenzulernen. In Bussen oder per Anhalter mit Lastwagenfahrern war er auf unglaublich löchrigen, von der Zeit und mangelhafter Instandhaltung zerfressenen Straßen unterwegs gewesen und hatte in billigen Pensionen übernachtet, die bisweilen einladend und idyllisch, meistens jedoch heruntergekommen und abweisend waren. Manchmal hatte er auch gezeltet. Gelegentlich malte er ein paar Bilder, um die nächsten Kilometer zu finanzieren. Zeichnete mit Pastellkreide Porträts von lachenden Touristen. Er lernte, die Geräusche der Insekten im Wald, in den Mangrovensümpfen und an den Wasserläufen zu unterscheiden. Er grub die Füße in den weißen Sand der Strände. Durchstreifte große Städte, die ein zweiter Urwald waren – und vielleicht sogar ein gefährlicherer. Allmählich jedoch ließ seine Neugier nach, erschlaffte wie ein müder Muskel. Oder er wurde

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