Der Sommer der Schmetterlinge
Häuser putzten oder beim Warten auf ihre Schwester trockene Blätter aufsammelten.
Clarice lächelte und strich sich eine Haarsträhne, die ihr ins Gesicht fiel, hinter das Ohr. Sie trug nicht mehr ihr lehmverschmiertes T-Shirt, sondern ein dunkelblaues Kleid mit hellblauen Blumen, das ihr ein braves, zerbrechliches Aussehen gab. So sehr, dass Fátima geneigt war, sich einen Moment zu ihr in den Garten auf einen Stein zu setzen und mit ihr zu reden – über die vielen ungesagten Dinge, über die inoffiziellen Versionen des Schweigens, die Clarice so fleißig übertünchte: ihr sauberes, blühendes, scheinbar ehrliches Schweigen. Doch sie hatte zu tun. Viel zu tun. Sie musste das Haus auf Hochglanz bringen, damit Maria Inês und ihre Tochter vor der Vergangenheit und dem harten Zugriff der Natur, die ihr Leben hier beherrschte, nicht die Nase rümpften. Sie wollte sämtliche Spinnen beseitigen, den muffigen Geruch verjagen, der in einigen Räumen und Schränken herrschte, die Möbel polieren, die toten Insekten aus den Ecken und von Kronleuchtern holen, Ameisen und Ameisennester vernichten, die Badezimmer mit Eukalyptusduft erfüllen und dieFensterscheiben so blank putzen, dass man sie gar nicht mehr sah. Gespräche mussten warten, selbst die, die nur in der Phantasie stattfanden.
Maria Inês war unterwegs zu ihnen. Clarice ertappte sich bei der Überlegung, was für ein Auto sie wohl fahren mochte. Sie vermutete, dass es ein luxuriöser, erst kürzlich zugelassener Importwagen mit Servolenkung, Alarm, Zentralverriegelung, elektrischen Fensterhebern, Airbags und all den anderen Extras war, mit denen sie sich nicht auskannte. Dann schämte sie sich ein wenig für ihre Gehässigkeit und suchte nach irgendeinem verborgenen Gefühl, das es ihr erlaubte, sich einfach über das Kommen ihrer Schwester zu freuen. Glücklich zu sein, wie es die normale Reaktion einer Schwester angesichts des Besuchs der anderen Schwester gewesen wäre, angesichts eines Wiedersehens nach so vielen Jahren. Sie versuchte, harmlose, oberflächliche Gedanken heraufzubeschwören, Gedanken an Dinge, die man sehen, hören, fühlen konnte, Dinge, die klar waren wie die Mittagssonne, wie Grashüpfer im Gebüsch oder Zikaden, die sich in den Bäumen ihre Seele aus dem Leib singen.
Der Mann, der aussah wie Tomás, verschwand hinter einer Biegung.
Die Januarsonne brannte, selbst um diese frühe Uhrzeit, und schmerzte auf Clarices Haut, als sie aus dem Schutz der schattigen Bäume trat, die das Haus von allen Seiten umgaben. Einige waren überraschend schnell gewachsen und bildeten nun echte Wunderwerke aus Stamm und Blättern. Sie waren wie gute Geister, deren Aufgabedarin bestand, Clarice Gesellschaft zu leisten, ihr Schatten zu spenden, ihrem Alleinsein liebevoll und nachsichtig beizuwohnen. Sie zu beschützen.
Jetzt musste sie nur noch warten. Dass die (stillstehende) Zeit ihr (vorübergehend) Maria Inês brachte. Das Warten gab ihr die Ruhe einer Greisin, die dem Leben bereits verziehen und die Unterschiede zwischen dem Wichtigen und dem Unwichtigen vergessen hat.
Ihre Haare waren voller weißer Strähnen, die sie mit indischem Henna färbte. Sie war alt geworden. Diesen Eindruck würde sie sicherlich auf Maria Inês machen. Sie ging durch die Zeit, und ihr Stichwort, der für sie vorgesehene Auftritt auf der Bühne war vielleicht schon vorbei. Das Wesentliche lag hinter ihr, alle Schritte und alle Schmerzen. Geblieben waren zwei identische Narben an den Handgelenken und eine Sammlung düsterer Erinnerungen.
Achtundvierzig. Das war nicht irgendein Alter. Es gebot Schweigen. Clarice trug ihr Alter ins Herz geschrieben wie die Nummer eines Häftlings. Sie war diese Zahl: achtundvierzig.
In einem Monat aber war Februar. Der Februar des Karnevals und ihres Geburtstags. Neunundvierzig. Ob sie noch ein bisschen improvisieren durfte, wo sie nun einmal auf der Bühne stand? Ob sie am Ende doch noch einen Sommer für sich erfinden durfte?
Jetzt, mit achtundvierzig Jahren, war es ihr gelungen, praktisch alle Hoffnungen auszulöschen. Sich kleinzumachen, sich zusammenzurollen wie ein Tier, das Winterschlafhält. Dieser annähernd friedliche Zustand musste zwangsläufig, aus den bekannten Gründen, Maria Inês ausschließen.
Aber Maria Inês kam. Warum? Zu welchem Zweck?
Vielleicht wollte sie nachsehen, ob ein gewisser Geldbaum gesprossen war. Natürlich nicht des Geldes wegen.
Die Briefe auf den schönen Kopfbogen mit ihrem Namen wurden länger und
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